Fontane, in der alles Stoffliche subjektiv angeeignet und beseelt ist, in der es auch in der Epik keine Restspur unbewältigten Rohstoffes gibt, ohne daß die Form sich hervordrängt und aufdringlich wird. Es ist kein Zufall, daß sich neben Bölsche Georg Büchner und Theodor Storm als Zeugen anbieten, die sich als Begründer des kritischen Realismus in der deutschen Literatur in zugespitzter Weise vor die Notwendigkeit neuer Formen aus neuen Inhalten heraus gestellt sahen. Es kennzeichnet die revolutionär-demokratische Radikalität und Größe Georg Büchners, daß er sein Formbekenntnis gleich politisch formuliert.
Konkretisieren und präzisieren wir das Behauptete an Beispielen der von Fontane bevorzugten objektiven lyrischen Genres.
In „John Maynard“ werden die Selbstlosigkeit und die Wesentlichkeit des einfachen Menschen, des Vertreters des vierten Standes, gepriesen jedoch in der Form der sehr gegenständlichen, eben balladesken Hymne bzw. in der Form der hymnischen Ballade. Die Rühmung hat unpathetischen, schlichten Charakter, dem neuen massenhaften Heldentume angemessen. Die Form folgt mit höchster Schmiegsamkeit dem Inhalt, den sie durch ihre Lakonik und Wesentlichkeit wirksam unterstützt. Die Neuorganisation der Inhalt-Form-Beziehung äußert sich sowohl in der Gesamtkomposition wie in den einzelnen Formelementen. So setzt sich „John Maynard“ aus vier Abschnitten von freilich unterschiedlicher Länge zusammen; der kürzeste dritte ist dabei gegenständlich-inhaltlich der komprimierteste und gewichtigste. In den beiden Versen
„Das Schiff geborsten. Das Feuer verschwelt.
Gerettet alle. Nur einer fehlt.“
besitzt jeder der imverbundenen neben- bzw. gegeneinander gesetzten vorwiegend elliptischen Sätze unerhörtes Gewicht, ist der akzentuierende gestische Rhythmus bis ins Druckbild hinein besonders ausgeprägt. Auch die zum Teil unterschiedliche Verslänge bzw. Anordnung der Verse ist Ausdruck der eindeutigen Dominanz des Inhaltlichen. Der regelmäßig angewandte Paarreim steht nicht im Widerspruch zur sinnbetonten Aufrauhung der Inhalt-Form-Beziehung; er ist elastisch gehandhabt; er wirkt auf das Tempo des Gedichts bald dramatisch-beschleimigend, bald feierlich-verlangsamend. Darüber hinaus dient er innerhalb der prosanahen beseelten Diktion der lyrischen Konzentration. Die transparente, gestische Inhalt-Form-Beziehung hat in „John Maynard“ großen Anteil an Volksverbundenheit und Volkstümlichkeit der Ballade.
In „John Maynard“ oder auch in den „Balinesenfrauen von Lombok“ steht Fontane voll auf der Höhe der von ihm in der Korrespondenz mit dem flämischen Dichter Pol de Mont entwickelten Theorie von der Erbaneignung im Balladenschaffen. Er spricht dort nicht nur von der „Pflicht“ der „Anlehnung an Längstvorhandenes“ 9 , von der Pflicht des Erbens, sondern zugleich, in fast modellhafter Weise, von der Notwendigkeit der Umbildung und Weiterentwicklung.
So ist Fontane in „John Maynard“ nicht nur der unmittelbaren amerikanischen Vorlage an poetischer Dichte überlegen, sondern auch Gottfried
9