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Sonderheft 5, Theodor Fontane: Unveröffentlichte und unbekannte Gedichte Toaste und Verse 1838 bis 1896
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August BürgersLied vom braven Mann. So übertrifft die Ballade von denBalinesenfrauen auf Lombok das thematisch-motivisch verwandte Sklavenschiff Heinrich Heines in der Simplizität und Lakonik des balladesken Vorgangs wie in der Wucht der antibourgeoisen Anklage.

Die NaturimpressionMittag erweist Fontane als einen lyrischen Graphiker und Rhythmiker von Rang. Mit wenigen Strichen, mit wenigen Einzelbilder ist ein eindrucksvolles Naturbild, eine Andacht vor der mittäglichen märkischen Sommernatur aufgebaut. Intensivierend wirkt die großartige, musikalische, rhythmische Nuancierung innerhalb des regelmäßigen metrischen Schemas. Manche formale Hebung wird prak­tisch zur Senkung, wie zum Beispiel dasich des dritten Verses der ersten Strophe, was für Fontanes empfindungslyrische und menschliche Zurückhaltung höchst signifikant ist, während auf der ersten Silbe von höre wie vonFöhre ein voller, ja ein doppelter Ton liegt. Musikali- sierend wirkt weiterhin die Alliteration, die bei Fontane allerdings nie. aufdringlich wird, sondern natürlich und selbstverständlich wirkt. Bei aller Impressionabilität hat das Gedicht, das 1875 entstand, also ein Jahr nach Formierung des malerischen Impressionismus in Paris, keinen statischen Charakter. Während sich in den ersten beiden Versen beider Strophen Ellipsen häufen, haben die zweiten Halbstrophen, in denen nicht zufällig die doppelten Hebungen zunehmen, den Charakter der Abrundung, im ersten Falle der Steigerung, im zweiten den der Lösung. Mittag ist ein nicht vordergründiges, sondern vom Objekt her, über das Objekt hoch beseeltes Naturbild, eine gelungene Synthese von Realismus und Impressionismus.

So und nicht anders ist Fontanes spruchhafte Lebensbilanz, der infolge der Annahme des gelebten Lebens in seiner Einheit von Erfolg und Zurücksetzung, aufgrund des gedämpften Optimismus und wegen der gültigen Form des Bekenntnisses allgemeine Bedeutung zukommt. Es ist nicht-didaktische private Spruchlyrik von dennoch repräsentativer Bedeutung, die sich infolge der tiefen Erfahrenheit des Inhaltes und der lässig-aphoristischen Form dem Leser leicht einprägt. Fontanes späte Spruchgedichte wirken, als ob sie dem Autor gerade erst eingefallen seien. Sie verkörpern eine lyrische Variante der Kleistschenallmählichen Verfertigung der Gedanken beim Reden. In ihrer tiefen Menschlichkeit und formalen Sparsamkeit wirken sie wie von einemleuchtenden Seelenschauspieler, von einemBrahminen 10 von der Art Oskar Sauers gesprochen. Diesen auf ihre Art hinreißenden Altersversen gegenüber wirken die Spruchgedichte der 50er Jahre bei allen Ansätzen zur inneren Ergriffenheit redensartlich, hausbacken und bisweilen sogar philiströs.

Als Beispiel für das Gelegenheitsgedicht seien die in diesem Bande neu mitgeteilten Verse an Emilie angeführt Sie spiegeln Fontanes schlechte materielle Lebenslage, den prosaisch gewordenen und dennochstram­men, festen Charakter seiner ehelichen Liebe, sie wirken bei aller gelegenheitsbedingten Ungelenkheit durch ihre Ehrlichkeit und durch die Genauigkeit des prosanahen Wortes. Aufgrund der gültigen Formu-

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