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Sonderheft 6, Henry H. H. Remak: Der Weg zur Weltliteratur: Fontanes Bret-Harte-Entwurf
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wunderbar ergreifenden Art die größte Aehnlidikeit mit der des. Dickens erkennen will, erscheint mir wenig zutreffend. Zu dessen breiter, von Details strotzender Darstellungs- und Erzählungsweise bildet seine kurze, knappe gedrängte Manier gerade den größten Gegensatz. Boz versagt sich nicht leicht das Vergnügen, seine Bilder von Menschenflguren und Scenerien mit einer Dennerschen Genauig­keit auszuführen und an Redseligkeit läßt es keine fehlen. Bret Harte, trotzdem er das, was er schildert oder handelnd auftreten läßt, innerlich genau in der gleichen vollendeten Wirklichkeit und Leibhaftigkeit, in demselben Detail-Reichthum anschaut, wie jene Meister, versteht in viel höherem Grade die schwere Kunst der Selbstbeschränkung. Er scheidet alles nicht unbedingt wesentliche jedes Bildes aus, wie die Meister des gothischen Styls bei der Con- struction ihrer Dome die großen überflüssigen Mauermassen, um nichts als die wirklich tragenden und wirkenden Glieder zu bewah­ren; und nur die wahrhaft bestimmenden Züge zeichnet er hin. Und nicht mit Unrecht vertraut er der Phantasie des Lesers; aus den wenigen markigen charakteristischen Linien und Farbentönen ergänzt sie sich das Bild des Menschen, die fast nur angedeuteten Ereignisse der Erzählung, und die sie motivirenden seelischen Vor­gänge so, daß das Alles lebendig auch vor unser Auge tritt. Wenn Bret Harte in dieser erstaunlichen Kunst Einem zu vergleichen wäre, so ist es I. Turgenjew. Aber er geht noch weiter in solcher Knapp­heit als selbst dieser, wenn er in Bezug auf Schärfe der Beobachtung alles Erscheinenden, wie alles inneren Lebens!,] auf Feinheit und Mannigfaltigkeit der Stimmung und auf die nie und nirgends ver- leugnete phrasenlose Wahrhaftigkeit der Empfindung und Darstel­lung dem großen russischen Erzähler durchaus gleich kommt.

Für diesen Künstler bot die califomische Welt in jener Zeit, als er ihr Studium begann, unschätzbaren Stoff. Das sichtbare Werden und Wachsen eines großartigen Culturlebens, mitten in Urwald und Felsenwildniß, der geschlossenen Gemeinde und des Staates aus dem Urbrei einer anarchischen gewaltthätigen Masse von Aben­teurern, Glücksrittern, Räubern und dem entsprechenden Auswurf des weiblichen Geschlechts, dies unendlich interessante bedeutsame und lehrreiche Schauspiel der Staat- und Gesellschaftbildenden unbewußten Kräfte und Triebe der Menschennatur im Daseinskampf mit deren eigenen centrifugalen Gegensätzen, mit der spröden Härte und Grausamkeit der Natur, der barbarischen Wildheit der Ur­bevölkerung und der schlimmem Barbarei der ausgestoßenen, ver­brecherischen, verdorbenen Söhne einer raffinirten Civilisation, welche Charaktere, Leidenschaften, Zustände, Contracte, Thaten, Ereignisse, welch ein Gegenstand für eines Dichters Auge und Federt Und diesen Dichter hat jenes wunderliche califomische Heroenzeit­alter in Bret Harte gefunden. Im wüsten Chaos, in dengrausen­den Wundern erkennt er dasvertraute Gesetz, im tiefsten Ver­derben noch das menschliche Herz. Er reflektirt nicht, er sentimen- talisirt nicht. Das Rührendste, das Holdeste, das Widrigste und