Aufmerksam sieht ein Erfahrener hinab in jene 6oer Jahre mit der Unerfreulichkeit der Bilder, die die Gegenwart zu bieten weiß, doch ruft Fontane nirgendwo das Weltgericht, er ist der Mann des „Fingerknipses“, ein scheinbar achtlos hingeworfenes Wort im »Stech- Iin«, das kein Fontaneforscher unbesehen aus den Händen lassen sollte. So ist denn „Storch von Adebar“ der Fingerknips gegen die Sechseraristokratie der Zeit, gegen Sechser-Geistlichkeit, und in „Bethanien" - wer kennt es nicht als Überschrift im autobiographischen „Von Zwanzig bis Dreißig“ — kommt es zum Händeschütteln zwischen beiden. „Alles ist doch schließlich Eitelkeit, Dünkel, Aufgeblasenheit, Wichtigtuerei“ - neben diese kardinale Fragmentstelle sollte die Briefstelle vom 27. Dezember 1878 (an Klara Stockhausen) gehalten werden, die besagt: „Der norddeutsche Protestantismus hat bloß den Neid großgefüttert. Die Päffchcn-Träger selbst sind der Ausdruck davon.“ So werden denn in dem Fragment Vicrgroschcnbrote in aller Deutlichkeit als solche aufgezeigt, und Kirchenstühle klappern hölzern wie in dem späteren Roman „Unwiederbringlidi“, der aber schon im Titel eine andere Tragik zeigt als das Fragment von „Storch von Adebar“. Der Spaß, die Schelmerei des Lebenssommers sind dort verschwunden: die Tragik geht dem eigentlichen Ursprung zu, dem Lebensschicksal eines bilderoffenen Kindes, das die „großen Szenen“ zwischen seinen Eltern erschrocken miterlebt hat.
Die Geschichte, die Handlung, die „Dunkelschöpfung“ kommt von selbst: es ist die hier noch spaßvoll zugedecktc Tragik zweier Hauptgestalten, die zwar verehelicht sind, die aber nicht zusammenpassen. Die Macht der frühen Bilder ist am Entfalten, findet aber noch nicht ihre Zeit, wo eine tiefe Lebensreife sic zur Gestaltung geeignet werden läßt, und der Roman bleibt ungeboren, bleibt Fragment.
Fontanes Vater war „ganz Phantasie“, die Mutter „ganz Charakter“, und „der Charakter“ bringt Unheil in den Werken Theodor Fontanes - wie soll es anders sein bei dem, den seine Phantasie so kategorisch an die Seite seines Vaters rief! Von dort, von Neuruppin und Swinemünde und den fernen Tagen, kommt das leise Wolkenballen, braut sich in aller Heiterkeit Gewölk zusammen, das „Storch von Adebar“ umkreist - nach jener Weisung fahren die Kutschen vor am Anfang wie am Schluß, bloß daß der Juni zum November wird; aus jenen Tagen kommt das unbemerkte Ineinanderwachsen von Glück und Frieden, das hier, im „Storch von Adebar“ (lange bevor es in „Unwiederbringlich“ Leitmotiv geworden ist) hinstrebt zum Wort: „De Rooh ist das Best.“ Wie Geißblatt um die Lauben rankt, so hüllt der Dialekt die Tragik zu - aber der „Quellensucher“, der Spürer in Fontane, hört ein Wasser tropfen.
Und sonderbarerweise wird gleich zu Beginn in „Storch von Adebar“ nach einer Quelle hingewünschelt, und Theodor Fontane ist sich nicht schlüssig, ob er nicht dieses Quellensuchen in den Titel nehmen soll. Aber der Name siegt; wollte er doch, neben den vielen Namen-Titeln, auch „Melanie van der Straaten“ als Titel haben für „L’Adultera“!
Wie voll „der Zeichen“ - „Charakterisierung“ klänge ihm nach „Wissenstempeln“, hätte nichts vom „Läuschigen“ - ist schon der Unterschied von Storch und Störchin bei ihrer Art des Quellensuchens: Storch möchte gern die Wünschelrute magisch zittern sehen, doch Cesarine will es anders, will den Trauring, er ist ihr ein geeignetes Instrument und Mittel zu dem - hochvernünftigen - Zweck: zu Geld und Glück, was doch in ihrem Ohr wie Grund und Folge klingt.
Das Wünschelrutensuchen ist Theodor Fontane nicht aus Zufall - „wenn es einen Zufall gibt“ - in den Sinn gekommen, ist nicht recht viel von feinem Ahnen und von feinen Sinnen in dem Zauberwort? In einem Brief der frühen Jugendtage (3. Mai 1846) schreibt er an Friedrich Witte: „Ich habe Ahnungen . . . und wär’ es eine Herde Schafe oder auch nur ein lächerlicher Trauerzug gewesen, irgendein Umstand wurde mir Prophezeiung.“
Man möchte meinen ,daß auch diese Bilder zu den besonders haftenden, zu den fixierten zählten in dieser Seele, die so kindlich blieb, wie es in der Gestalt des alten „Stechlin“ später eingesenkt war. Denn beide Bilder gehen in das Fragment von „Storch von Adebar
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