Heft 
Sonderheft 3, Theodor Fontane: Reisen in Thüringen
Seite
11
Einzelbild herunterladen

Zeiten die Vielfalt des menschlichen Lebens war. Sein Verhältnis zu den historisdien Denkmalen wurde weniger durch ein abstrakt-theo­retisches, historisches oder kunsthistorisches als vielmehr durch ein auf den sinnlich faßbaren menschlichen Bezug gerichtetes Interesse geprägt. Sie erzählen ihm vom Leben und Wirken vergangener Geschlechter und einzelner Persönlichkeiten, deren Geschichte durch den Hauch des Malerischen und Romantischen, wie er alte Denkmale oft umgibt, für ihn vielfach eine poetische Verklärung erfuhren. Diese dem Dichter eigene Betrachtungsweise bestimmte im wesentlichen seine Urteile über die Denkmale und erklärt ihre oft über seine Zeit hinausgehende Gültig­keit. Zeitgebundener und weniger allgemeingültig waren sie in der Regel, wenn Fontane ausnahmsweise Fragen der Kunstgeschichte in den Vor­dergrund stellte. Auf diese Tendenz verwies Hans-Heinrich Reuter bereits im Zusammenhang mit Fontanes englischen Kunstberichten (vgl. Hans- Heinrich Reuter: Fontane. Verlag der Nation, Berlin 1968 Bd. I S. 330). Das Wissen um Fontanes besondere Betrachtungsweise der Denkmale bietet auch den Schlüssel zum Verständnis ihrer Bedeutung in seinem Schaffen. In seiner Reiseliteratur wie in seinen Romanen verwendet er sie immer wieder als Mittler zu menschlichen Geschicken und Charak­teren aus vergangenen Zeiten. Dieser Mittlerrolle konnten sie um so besser gerecht werden, je mehr originale, auf bestimmte Personen und Ereignisse bezogene Erinnerungsstücke erhalten blieben. An solchen Erinnerungsstücken besonders reiche Denkmale waren die Sakralbauten, die Schlösser und Herrenhäuser Fontane hat sie deshalb auch dann wie Denkmale behandelt, wenn das jeweilige Bauwerk nach dem damaligen Urteil der Kunstgeschichte nicht als Denkmal betrachtet wurde und die Gedenk- und Memorialstätten, die von ihrer Bestimmung her eine Mittlerrolle haben. Seine mitunter sehr ins Einzelne gehenden Denkmal­beschreibungen sind unter diesem Aspekt zu sehen, sie sind nicht als Abschilderung und Erläuterung der Bestände in der Art eines Denkmal­führers zu begreifen.

Fontanes Verhältnis zu den Denkmalen offenbart sich insbesondere in seinen vielfachen Bemerkungen über vorgenommene oder geplante Re­staurierungen. Er plädierte in solchen Zusammenhängen dafür, den alten überkommenen Bestand zu schonen, vor allem spezielle, auf bestimmte Personen oder Geschehnisse bezogene Erinnerungsmale zu bewahren. Der Begriff der Pietät wird dabei viel von ihm verwendet, ebenso die Begriffe Echtheit und Wahrheit, oft in doppelter Bedeutung, als Pietät vor der Historie und dem Kunstwerk, als historische und künstlerische Echtheit und Wahrheit.

Thüringen, einst Wirkungsstätte bedeutender Persönlichkeiten des deut­schen Geisteslebens, ist eine an Gedenk- und Memorialstätten reiche Landschaft. Dieser Eigenart hat Fontane Rechnung getragen. Die Erinne­rungsstätten an die Dichter der deutschen Klassik in Weimar wie die Goethestätten in der Umgebung von Ilmenau hatte er im Jahre 1867 aufgesucht. In den Aufzeichnungen aus dem Jahre 1873 berichtet er u. a. über Erinnerungsstätten an Jean Paul, Ludwig Köhler und Friedrich Rückert; letzterem wurde ein eigenes Kapitel gewidmet. Neben den

11