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Der Chaßidismus : eine kulturgeschichtliche Studie / von Verus
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in seinem Kommentar zu P. Achre schreibt:Ich sage Demjenigen, der auf­merksam das innere Wesen der Begriffsthätigkeit beobachtet, daß das Wirken der Verstandskraft die Begriffe bildet; wenn wir dann die Verstandeskraft unter­suchen, finden wir, daß das Wesen des Begriffes selbst unbegreiflich ist, und wenn wir in einer Stellung zwischen Ich und Nichtich, dem Selbst und Nicht­selbst, darauf blicken, begreifen wir, daß der Begriff gebildet wird von einer Begriffskraft, die der Verstand selbst nicht begreifen kann, während selbe den Verstandespotenzen (Maskilim) die Harmonie der Verstandesthätigkeit liefert, als geheimnißvolle Seele der Seele, und daß es ein Leben über dem Leben giebt, dessen Ueberschüsse uns als königlicher Geistesschmuck zufallen." Auf 500 Meilen Entfernung war R. Israel Balschemtow denselben Intuitionen eine populäre Faßlichkeit zu geben bemüht, wenn er sagt:Jeder Gedanke, der in der Seele auftaucht, ist eine , eine Individualität, die auf ihren Ursprung unter

sucht sein will. Sie kommt aus dem Strome des Unbewußten, des und

entspringt einem höheren Gefühlssystem, das sich in sieben Grundprinzipien von Liebe, Furcht, Schönheit, Energie, Abhängigkeit, Lust oder Selbstständigkeit äußert, die jedoch alle nur Grundformen unseres Seelenlebens sind, als solche in die Erscheinung treten, ihrer Wirklichkeit nach uns unzugängliche Wesen­heit haben."

Die moderne experimentelle Psychologie feiert als Triumph ihrer Ent­deckungen den schlußgiltigen Lehrsatz Wundt's:Es denkt in uns." Aber dieser Satz, der in der karbolhaltigen Atmosphäre des Laboratoriums seinen lebens­fähigen Blüthenstaub eingebüßt hat, macht uns zum Sklaven des Gedankens, zu dessen Beherrscher uns der jüdische Weise erheben will. Hier liegt die Schwelle, welche den Abtrünnigen von dem Orthodoxen trennt. Mendelssohn leugnet jede Verantwortlichkeit des Gedankens, folgerichtig also auch die des Gefühles. Mit der That fange erst die Verantwortlichkeit an. Der Mensch wäre also einer seits ein Sklave seiner Ideen, Gefühle und Leidenschaften, andererseits des Gesetzes, dem er mechanisch im Widerspruche mit seinem ganzen Seelenleben zu gehorchen hat. Eine schöne Perspektive, die ein heuchlerisches Zwittergeschöpf schafft, den verkappten Atheisten im Betmantel, wie er thatsächlich als Vermittler der sogenannten Reform auftrat, die als feuerloses Wrack von den Wogen des Zeitgeistes hin und her geschleudert wird.

Unabhängigkeit des Geistes, vollständige Herrschaft desselben über das Gefühl und als Produkt beider die Hervorbringung der Rede und der Handlung, das lehrt R. Israel. Die Seele des Individuums ist durch zahlreiche, feinste Fäden an die Volksseele und durch diese an den unfaßbaren Gott geknüpft. In dieses Heiligthum fremde Individuen unter der Maske von Gedanken- und Gefühls-Baccillen (wie die heutige Wissenschaft sagen würde) nicht eindringen zu lassen, ist das Ziel aller religiösen Vorschrift. Darum beginnen die zehn Gebote mit:Ich bin der Ewige, dein Gott, du sollst keine anderen Götter haben vor mir," und schließen mitDu sollst nicht gelüsten u. s. w.", Geboten, die in erster Reihe an die Gedanken- und Gefühls-Thätigkeit gerichtet sind. Darum sagt der Balschem: ONNOt In denm Augenblicke, wo Ihr der Ver­

bindung mit Gott den Rücken kehre, ist schon die Vorbedingung eines fremden Dienstes geschaffen.

Man kann an diesen knappen Zügen schon erkennen, daß dieser Weise kein unbewußtes Produkt, sondern ein sehr hellsehender Wächter seiner Zeit war, der vor der hereinbrechenden Sintfluth, die im Westen das Ghetto mitsammt seiner Gelehrsamkeit und Frömmigkeit bis auf einige Trümmer hinweg­geschwemmt hat, seine Rettungsarche baute.