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Auf welche Weise er das ermöglichte, Geist und Gemüth eines Volkes zu beherrschen, das von seiner Wiege an als das hartnäckigste, korpervativste und zugleich skeptischste der Menschheit geschildert wird, und diese Herrschaft auf zwei Jahrhunderte hinaus auf Millionen Individuen auszudehnen, soll den Gegenstand unserer Untersuchung bilden.
Der von uns bereits zitirte geistreiche Schriftsteller hat die sehr bemerkens werthe Aeußerung gethan, daß die moderne Epoche eine der gefahrdrohendsten war die das Judenthum in seiner an Prüfungen wahrlich nicht armen Geschichte zu überstehen gehabt hat. In der That ist sie nur mit der Zeit zu vergleichen, in welcher ein Jahrtausend früher R. Saadia Gaon in Babylonien als Retter der jüdischen Religion auftrat. Sein gefährlicher Widerpart war damals ">2^2>1 der Chiwi aus Balch in der Bucharei, dessen Beinamen Balchi man in ^2 umgewandelt hat. Derselbe hatte eine Reform eingeführt, die mit der modernen große Aehnlichkeit hatte, und ein Bibelsurrogat herausgegeben, das bereits in den Kinderschulen Eingang gefunden hatte. Die Karäersekte, aus verletztem politischen Ehrgeiz der Prätendenten auf den Exilarchenthron hervorgegangen, hatte unter der Maske der Bibelgläubigkeit den Kampf gegen den Rabbinismus und die Tradition aufgenommen. Der Glanz des Khalifenthrones in Bagdad lockte die Assimilations-. bestrebungen an. Der seit den Makkabäersiegen aus dem Judenthum verdrängte Hellenismus erhob in arabischer Gewandung wiederum sein Haupt. Gegen den Talmud wurde die griechische Philosophie mobil gemacht, zu einer Zeit, wo äußere Verfolgungen und innere Gährungen die großen Hochschulen zu Sura und Pumbedita in bedenklichen Verfall gebracht hatten. Die Wunder der Vorsehung, des nimmer rastenden Hüters Israel's, schufen damals ein Genie wie R. Saadia Gaon, der mit dem Lichte seines Geistes die Glaubenslehre erhellte und dem Rabbinismus die seinem Gegner entwundenen Waffen in die Hand drückte. Die Schule R. Saadia Gaon's hat die wunderbaren Blüthen der spanischen Schule geschaffen, die mit Maimonides ihren Höhepunkt erreichte, den Karäismus mit geistigen Waffen ausrottete und das Judenthum während der unendlich finsteren Nacht des tiefsten Mittelalters erleuchtete.
Was bedeutete jedoch der Ansturm der arabischen Kultur gegen die Macht des modernen Zeitgeistes, dessen vulkanische Eruptionen die Welt des Mittelalters in ihren Grundfesten erschütterten!
Um die merkwürdige Wirksamkeit dieses einzelnen Mannes, R. Israel, seinen Einfluß auf ein großes, scharfsinniges, durch seine Hartnäckigkeit, Auflehnung gegen jede Neuerung, Skepsis gegen Autoritätsglauben seit Jahrtausenden gekennzeichnetes Volk richtig zu beurtheilen, muß man auf eine geschichtliche Schilderung der allgemeinen Lage der Juden zu jener Zeit zurückgreifen,
Es ist richtig, daß jeder bedeutende Mann ein Produkt seiner Zeit ist. Aber es genügt nicht, dieses Schlußglied einer Kette von Ursachen, deren gesetzlicher Causalnexus uns so gut wie unbekannt ist, erkannt zu haben. Umsoweniger, als auch die Antithese wahr ist, daß der sogenannte Zeitgeist und seine Neuformationen in letzter Linie sich als das Produkt besonders hervorragender Individualitäten darstellen. Ursache und Wirkung tauschen die Rollen vor den Äugen des Beobachters, dem sich nur die Außenseite des Phänomens, nicht aber das innere Räderwerk der Weltleitung offenbart.
Das Jahr 1648, das Ende des furchtbaren Gottesgerichtes, welches als dreißigjähriger Krieg über die mit unschuldigem Blute getränkten Gaue Deutschlands hereingebrochen war, brachte eine Katastrophe über die Judenheit, deren versprengte und zerschmetterte Reste auf dem Boden des alten Polens ein Asyl gefunden hatten, die an Umfang und Schrecklichkeit alle früheren übertraf.