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diesen blutigen Chroniken. In Krakau giebt es eine Vorstadt Zwierzeniec (Thiergarten). Vor Jahrhunderten hatte ein polnischer König daselbst einen Thiergarten angelegt, von dem nur der Name geblieben ist. Im jüdischen Volksmunde hieß er sl „der Königsgarten". Dort wohnte Reb Elosor migán hamelech, wie er genannt wurde. Derselbe war Vorbeter in der alten Synagoge. Am Jom Kippur wurde er wegen einer Blutbeschuldigung in die Folterkammer geschleppt und auf die sogenannte Manneleiter (hizvv Folter) gespannt. Das war eine lange Leiter, an welche der Delinquent oben mit den Händen gefesselt wurde, um an den Füßen so lange gezerrt zu werden, bis dieselben die unterste Sprosse erreicht hatten. Um das verlangte Geständniß zu beschleunigen, standen zwei Henkersknechte mit je einem Bündel brennender Talglichter, die dem Delinquenten unter die Achselhöhlen gehalten wurden. (In unseren Tagen des Fortschrittes würde Dr. Baxa elektrische Akkumulatoren angewendet wissen wollen.) Reb Elosor hielt die Tortur standhaft aus, und als er entlassen wurde, kehrte er in die Alteschul zurück, wo er vor dem Almemor das Neilo-Gebet (Schluß-Gebet des Versöhnungstages) vortrug. Das geschah vor 130 Jahren. — Die wenigen Lebenden, welche die ungemein ungünstigen Lebensbedingungen siegreich überwinden konnten, bildeten eben eine Auslese besonders kräftiger, heroischer Naturen.
R. Jacob Emden bemerkt sehr treffend, daß die Wunder beim Auszuge aus Aegypten bei weitem durch das Wunder der Existenz eines jüdischen Volkes im Kampfe mit den Unbilden des „Golus" übertroffen werden, und der deutsche Geschichtsforscher Johannes von Müller sekundirt ihm mit dem Satze: Die Juden sind das Wunder der Geschichte. —
Wohl die „wundervollste" Phase bildet die Lage der Juden in Polen um diese Zeit, und als der unermüdliche Amalck mit allen seinen Anstrengungen die gänzliche Vernichtung nicht erreichen konnte, da tauchte auf dem letzten Reichstage, welcher der ersten Theilung Polen's voranging, der Vorschlag auf, die Juden aus dem Reiche zu vertreiben. Dieser so unendlich trüben äußeren Lage entsprach das Elend der inneren, geistigen.
Das eigentliche Ghettoleben der damaligen Zeit ist noch nicht annähernd richtig geschildert. Nehmen wir solch eine Hauptgemeinde von 1950 Seelen. Davon Dreiviertel Frauen, Greise und Kinder, bleiben etwa 500 Männer. Darunter sind Honoratioren:
1) Der Roschhakohol, Kultusvorsteher.
2) Der Parneß-Chaudesch, Monatsvorsteher.
3) Der Schulgabbai, Synagogenvorsteher.
4) Der Rabbiner.
5) Der Dajan, Richter.
6) Der Melammed, Lehrer.
7) Der Chason, Vorbeter.
8) Der Schammes, Kustos.
9) Der Bader, Tauchbadverwalter.
10) Der Kabron, Todtenbestatter.
11) Der Server, Diener bei Hochzeiten und Beschneidungen.
12) Der Klesmer, Musikant.
13) Der Schäumer, Thorhüter.
Dann kommt das Volk.
14) Der Baalboes, der Spießbürger.
15) Der Nogid, der reiche Bürger.
16) Der Maggid, Wanderprediger.
17) Die Plebs.