— 11 —
1. Der Roschhakohol.
Schon vor der Katastrophe von 1648 werden bei den großen Gesetzeslehrern, den Kodifikatoren des Schulchan-Aruch, die Klagen laut: vi-g ^2 I1W1
„Heutzutage, wo die Gewaltmenschen die Oberhand haben." Die Leidensgeschichte des berühmten R. Lipmann Heller, des Verfassers von Tosefot Jomtow, die er in seiner n ,1 2^ kHlO erzählt, entwirft ein düsteres Bild von der Tyrannei der reiche Machthaber in Prag, die trotz allen Druckes der Verfolgungen den damals zu Wien residirenden Rabbiner durch schnöde Denunziationen in den Kerker brachten. Mit genauer Noth entging er dem Schaffot und dankte inbrünstig seinem Schöpfer, als er in Krakau ein ehrenvolles Asyl fand. Nun waren die Verhältnisse in Polen zwar nicht so arg als in Böhmen, aber nach der großen Katastrophe war auch dort alles außer Rand und Band. Der nervus r erum ist auch bei einer Kultusgemeinde das Geld, das die Gelehrten flieht und mit Vorliebe die Niederungen der Gesellschaft aufzusuchen pflegt. Um in jenen düsteren Zeiten zu Gelde zu kommen, bedurfte es vor Allem rücksichtsloser, keine Sentimentalität kennender Charaktere. Der Gelehrte mied angstvoll den Verkehr mit der fremden, gewaltthätigen Gesellschaft, in der ein Menschenleben weniger galt als das eines Spatzen. Und doch mußte man Leute haben, die bei den adligen Machthabern einen Einfluß geltend machen konnten, um vor den tagtäglich sich erneuernden Gewaltthaten des Pöbels Schutz zu fordern. Parvenüs aus den untersten Schichten gelangten auf diese Art zur Herrschaft und nahmen ihren Untergebenen gegenüber ganz dieselben Allüren an, mit denen sie von dem wilden, stolzen Aristokraten behandelt wurden. Dieselbe Unterwürfigkeit, die sie Jenen entgegenbringen mußten, forderten sie gebieterisch von den Ghetto-Juden, und es ist possierlich, die schmeichlerischen Titel und Höflichkeitsbezeugungen zu kennen, mit denen sie begrüßt werden mußten.
So ein Exemplar war der „große Schloime", der zu den Etatsberathungen die Dajonim großmüthig heranzog. Es war damals ein sehr trockener Winter, der Schnee war monatelang ausgeblieben, und das ließ eine Mißernte befürchten. Es wurde nun das Thema behandelt, daß in Palästina bei Ausbleiben des Winterregens (Azirus Geschomim) ein allgemeines Fasten angeordnet werde; warum sollte dies nicht auch bei Azirus hascheleg der Fall sein, des Schnees, der bei uns den Regen vertritt? Der Roschhakohol, der mit dem Hebräischen auf sehr schlechtem Fuße stand, wollte nun sein Licht nicht hinter den Scheffel stellen. „Ich hob gehört von maan Seeden (Großvater), daß man hott goiser taanis gewesen (Fasten angeordnet) auch bei Azirus hascheigel." Das heißt aber: Verstopfung des Mutterleibes. Der Unglückliche hatte Scheleg und Schegel verwechselt. Die armen blassen Dajonim zerbissen sich die Lippen, hätte Einer gelacht, so wären Alle die Treppe hinuntergeflogen.
Das älteste chaßidische Werk Toldaus Jakob Josef geißelt die Auflehnung gegen jede führende Autorität, die den Weg zeigen will, mit Berufung auf eine Roschhakoholssitzung, bei welcher ein Junge beim Nachhausegehen die finstere Stiege mit der Laterne hinableuchtet und von dem Roschhakohol eine Ohrfeige bekömmt, weil er es gewagt hat, ihm voranzugehen.
Durch die Schwedenkriege waren die Dorfschänkenpächter (Arendare) in die Städte getrieben worden. Es gab darunter sehr bedeutende Gelehrte, wie den späteren Rabbiner von Lenczyce, Verfasser eines sehr angesehenen Werkes. Das waren jedoch Ausnahmen. In der Regel waren es sehr materialistisch veranlagte Männer, von athletischem Körperbau, vor denen das ganze Dorf zitterte. Verhältnißmäßig reich, des Polnischen vollkommen mächtig, mit den Srorim (Adligen) bekannt, übernahmen sie bald die Führerrolle. Die armen halbverhungerten Gelehrten, mit zahlreichen