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Der Chaßidismus : eine kulturgeschichtliche Studie / von Verus
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Töchtern gesegnet, waren froh, ihren alten Geburtsadel gegen solche so betrachtete Mesalliancen eintauschen zu können, und so führen noch in den Großstädten die alten angesehenen Familien die Namen der Dörfer aus der Umgebung. Einen solchen Roschhakohol verdankt das Ghettothor in Krakau seine endgiltige Beseitigung. Reb Awrom Spitkowitzer kam eines Sabbaths früh aus der Schul zum Kiddusch. Man präsentirte ihm den Lehkuch (Lebkuchen). Als er eben im Begriffe war, ein großes Stück zu kauen, traf er auf einen harten Gegenstand. Es war eine Biene, die im Honig geblieben war. Er schickte sofort um den Bäcker, dem der große breit­schultrige Mann unter wüthenden Ausfällen eine wuchtige Ohrfeige versetzte. Aber wer beschreibt das Entsetzen der Gemeinde, als der Bäcker den Roschhakohol an Ort und Stelle gründlich durchbläute. Er wäre von der herbeieilenden Menge ob dieses unerhörten Vergriffes an der unnahbaren Person des Roschhakohol gelyncht worden, wenn es ihm nicht gelungen wäre, den befreundeten Thorwächter zum Oeffnen des Thores zu bewegen und in die Stadt zu flüchten. Das Ghetto bildete eine kleine Festung gegen die Angriffe der Studenten, der Schuloren, die namentlich am Georgstage das Privilegium hatten, über die Juden herzufallen, und es sich auch bei sonstigen Feierlichkeiten freiwillig nahmen. Das Ghettothor wurde Freitag Nachmittag, wenn man nach der alten Uhr 22! ausrief (unserem Vier Uhr entsprechend abgeschlossen und Niemand durfte bis nach Sabbathausgang aus- oder eingelassen, werden, ohne ausdrückliche Erlaubniß des Roschhakohol, die nur in Ausnahmefällen bei Berufung eines Arztes etc., ertheilt wurde. Bei diesem Vorfälle wurde die Thor­wache zur strengsten Verantwortung gezogen und bekam die volle Wuth des Ober­hauptes zu fühlen. Der Bäcker war jedoch persona grata bei dem Präsidenten der Freistadt und das Ende war, daß das Thor entfernt wurde.

Der Roschhakohol übte auch das hochnothpeinliche Halsgericht aus. Da gab es eine Kiene (Halseisen), in welcher widerspenstige Individuen, Diebe, bei Sittlichkeits­verbrechen Attrapirte u. s. w. eingeschlossen und zum Gaudium der Straßenjugend an den Pranger gestellt wurden. In Lemberg ist im Synagogenraume noch die Kiene angebracht, in welcher aus Versehen einmal der berühmte Ture Sohow, der als Fremder, das Handwerk eines Menaker (ritueller Fleischbeschauer) betreibend, zwei Stunden lang eingesperrt gehalten war. Die ersten Chaßidim in den Städten machten öfters Bekanntschaft mit dem Halseisen. Als sie es einmal wagten, bei der dritten Sabbathmahlzeit Scholesch Ssudos (am Sabbathnachmittag) in ihrem Lokale laut Semiros (Sabbathgesänge) zu singen, requirirte der Roschhakohol, Reb Chaim Reb Gümpels in Krakau, die Stadtwache. Man umstellte das Haus, und da es finster war, machte sich Reb Koppel, ein besonders kräftiger Chaßid, das Vergnügen, einen Wachmann, der am Fenster stand, beim Zopfe zu packen und ihm denselben, trotz seines Zetergeschreies vom Schopfe abzudrehen. Die ganze Gesellschaft wanderte in den Karzer, wo sie fröhlich weitersangen, und dann ins Halseisen. Aber sie hatten einen angesehenen Verwandten, welcher beim Wojewoden Einfluß hatte. Derselbe ließ dem Rabbiner, der ein Schwiegersohn des Roschhakohol war und diesem seine Stelle verdankte, sagen, daß er sein Amt aufs Spiel setze, wenn er nicht die sofortige Freilassung veranlasse. Das half!

Aus den alten Grabinschriften geht hervor, daß ursprünglich, als die Autorität der Rabbiner die vorherrschende auch in äußeren Kultusangelegen­heiten war, die Roschhakoholstelle nur auf die Dauer eines Monats vergeben oder wenigstens im Laufe einiger Monate zwischen Mehreren gewechselt wurde. Die Parnassim wurden als Gemeindedelegirte auf den Waad (NP1) der 4 Länder gesandt, d. i .die Synode, welche in zwei Sitzungen, die alljährlich zu bestimmten Zeiten in Lublin oder Jaroslau abgehalten wurden, die allgemeinen Angelegen-

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