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3. Der Schulgabbai, Synagogenvorsteher.
Seit den ersten Massenansiedelungen der Juden in Polen (im Jahre 5026 — 1266) war die Synagoge ihr einziger Sammelpunkt. Es gab keine Klassenunterschiede zwischen Gelehrten, Adel und Amhaarez (ungebildetem Volke). Den die Juden in Polen waren, wie aus dem Responsum Or Sorua des R. Isak von Wien an R. Eleasar von Böheim aus jener Zeit hervorgeht, so ungebildet, daß sie nur untergeordnete Kinderlehrer aus Deutschland bezogen, die, dürftig besoldet, gleichzeitig die Funktionen des Schächters, Chasans und Rabbiners ausüben mußten. So blieb es im Allgemeinen bis um 1460, wo ein neuer Zuzug von Massen aus Deutschland, vom Rheine und den österreichischen Provinzen vertriebener Juden neue mit religiöser Wissenschaft ausgerüstete Kräfte brachte. Bis zu dieser Zeit kommt in der Literatur kein einziger Name eines jüdischen Gelehrten aus Polen vor.
Der Baum des Judenthums, mitsamt seinen Wurzeln aus der Heimatherde gerissen, war wieder einmal nach Wanderungen über Babylonien, Spanien, Frankreich und Deutschland aus slavischen Boden verpflanzt worden, und es ist erstaunlich, die Uebereinstimmung der Behandlung zu beobachten, mit welchen der Gärtner, der die Pflege dieses Baumes überwacht, bei allen diesen Umsetzungen auf so verschiedenen Gebieten vorgegangen ist. Jahrhunderte werden der neuen Anpflanzung gewährt, um in rein materialistischem Wachsthum nach unten Wurzel zu fassen, sich im fremden Boden heimisch zu machen, die physische und soziale Unterlage zu schaffen, und erst als in der Anpassung an die fremdartigen Wachsthumsbedingungen die Verwilderung droht, wird durch das Edelreis einer höher entwickelten Kultur die Entwickelung in die richtige Bahn geleitet.
Genau so war es in Babylonien, wo die von Palästina entsandten ersten Amoraim (Lehrer des Talmud) eine vollständig verwilderte, in Unwissenheit ausgewachsene Bevölkerung zur Lehre herangezogen. Ebenso in Spanien, wo dieselbe Sendung den von R. Hai Gaon ausgesandten Gelehrten R. Mose und dessen Sohn R. Chanoch zufiel. Ein Gleiches in den Rheinlanden, wohin Karl der Große die adelige Familie der Kalonymiden verpflanzte, nachdem seit Jahrhunderten dort vollständige Dunkelheit geherrscht hatte. Dieser Familie entstammten fast sämmtliche so berühnit gewordenen Männer der französisch-rheindeutschen Schule.
Und so war es auch in Polen. Eine dunkle Masse jüdischer Ureinwohner, in Kleidung, Sprache, Sitten und Fehlern beinahe assimilirt, wird durch eine deutschen Dialekt sprechende Einwanderung altadeliger Gelehrtenfamilien vollständig umgemodelt, und zur selben Zeit, wo das Licht der Thora in Spanien, dem letzten nach der Vertreibung aus England und Frankreich übrig gebliebenen Asyle, vollständig erloschen war, flammt dasselbe mitten im sarmatischen Urwalde mit noch weit größerer Intensität auf als je zuvor. Der erste Rabbiner von Polen war der aus Worms eingewanderte Michael Luria, Abkömmling von Raschi, zu Brest um 1470, und schon 60 Jahre später konnte sein Urenkel R. Mose Isserle an den Verfasser des Schulchan-Aruch ,R. Josef Karo nach Safed schreiben: 7N1N >"1X72
„Krakau ist voll Thora wie Jerusalem in seinen besten Zeiten" und konnte ein Zeitgenosse, der Herausgeber der Responsen des „Rosch" in einer Controverse über das Verbot gewisser Fetttheile behaupten: die Krakauer Fleischhauer sind größere Gelehrte als die Rabbiner in anderen Ländern. Gleichwohl gab es eine gewisse Scheidung zwischen Gelehrtenadel und dem gemeinen Volke. Der erstere baute