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Der Chaßidismus : eine kulturgeschichtliche Studie / von Verus
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sich besondere Klausen für das Studium, die aber auch Bethäuser waren, und überließ Jenen die Synagoge. Unbegreiflich bleibt die fabelhaft schnelle und hohe Entwickelung der jüdischen Wissenschaft, wenn man die Vorträge liest, welche der berühmte R. Natan Spiro MP1QP in der kaum 50 Jahre alten

und während dieses Zeitraumes erst von Safed nach Polen importirten Weis­heit des Ari ('NX), der tiefsten wissenschaftlichen Kabbala, in der Alten Synagoge gehalten hat. So beim Hesped (Leichenrede) des R. Eleasar hasakan, Bruder des R. Mose Isserles, im Jahre 1623 und bei anderen Gelegenheiten. Da vorausgesetzt werden muß, daß er nicht zu den Wänden, sondern zu einem ver­ständnisvollen Hörerkreis gesprochen hat, so ist das um so unbegreiflicher, als heutzutage eine Rabbinerversammlung keineswegs den durch einen solchen Vor­trag an sie gestellten Anforderungen zu entsprechen im Stande wäre.

Aber dieser Hochfluth folgte nach 1648 eine selbst durch die Ungunst der Verhältnisse und die Katastrophen keineswegs zu erklärende Ebbe. Ein jäher Wechsel der Erscheinungen, der als eine spezifische Eigenthümlichkeit im polnisch- jüdischen Geistesleben wiederholt auftritt. Die Synagoge verödet mit dem Ein­züge unwissender Geldmenschen als Spitzen der Gemeinde und als Synagogen­vorsteher. Wenn ein fremder Rabbiner kommt, und da die 4 Ländersynode de- kretirt, daß ein Rabbiner nicht länger als 3 Jahre auf einem Posten bleiben darf, wiederholt sich diese Eventualität sehr oft wird die Synagoge zum Tummelplatz der wildesten Pilpulturniere. Die Jüngsten wetteifern mit den Alten, dem Gaste, und wenn er noch so ehrwürdig ist, Fallen zu stellen, ihn aus dem Sattel zu heben. Unter dem Deckmantel der Förderung der Wissenschaft werden häßliche Leidenschaften entfesselt. Von Andacht ist keine Rede mehr. Der bereits erwähnte Rabbiner Heller (Toßfoth Jomtow) machte nach der großen Katastrophe eine d. h. er betete unter Kasteiübungen um eine

himmlische Mittheilung über die Ursache des großen Strafgerichtes und erhielt die Antwort: wegen ungebührlichen Benehmens in der Synagoge und Plauderns während der Andacht. Schon früher hatten die großen Rabbiner ihre Warnungs­reden erschallen lassen, so der wegen seines Scharfsinnes berühmte R. Meir Schiff in Fulda (1631). S. dessen Talmudkommentar vorletzte Seite, und den Ausspruch des Sohar, daß Derjenige, der in der Synagoge während des Gebetes Gespräche führt, nur dokumentirt, daß er keinen Antheil am Gotte Israel's habe und haben wolle. Je mehr sich die wahrhaft Frommen und Ge­lehrten aus den Synagogen in geschlossene Klausen zurückzogen und den Em­porkömmlingen und ihrem Anhänge die alten heiligen Stätten überließen, desto schwerer wurde die Herstellung geordneter Zustände. Wir finden schon bei R. Israel Iserlohn, ein Jahrhundert früher in Deutschland, arge Ausschrei­tungen an hohen Festtagen. Ein wohlhabender Kaufmann Gerschon verspricht seinem Konkurrenten Elieser, ihm beim Umgange mit den Hoschanot am Hoschana Raba die Rippen zu zerbrechen, hält auch Wort und entschuldigt sich vor dem Rabbinatsgericht damit, daß das Stoßen Brauch sei und er den Bruch des Schlüsselbeins keineswegs beabsichtigt habe. (Responsum 210 ) Die Unhaltbarkeit dieser Zustände hat in Deutschland den Vorwand zu alles vernichtenden Reformen gegeben. Der Chaßidismus hat den einzig möglichen Weg eingeschlagen, den wahre Andacht Suchenden in gesonderten Vereinigungen die Möglichkeit dazu zu bieten.

Wir werden später sehen, wie er diese Aufgabe gelöst hat.