Gebiet wagte, da war es um die Seelenruhe geschehen. Die Verheerungen, welche die freie, hellenistische Forschung in den Köpfen angerichtet hatte, hatten in letzter Linie zu dem traurigen Zustande geführt, in welchem die Vertreibung aus Spanien über die Judenheit von 1492 hereinbrach, wobei, wie R. Josef Jaabez berichtet, die philosophirende Gelehrtenkaste in erbärmlicher Schwäche an Glaubenstreue und Märtyrertugend weit hinter dem gemeinen Manne, den Frauen und Kindern zurückblieb.
Der Versumpfung und Verödung von Geist und Gemüth, welche die seichte, unwissenschaftliche Scholastik der letzten Jahrhunderte angerichtet hatte, war die Kabbala entgegengetreten, zuerst schüchtern und dilettantisch, als plötzlich in Safed die Feuersäule des R. Isak Luria mit grellen Blitzen die tiefe Nacht, den Himmel spaltend, erleuchtete, um wie ein Meteor von erstaunlichem Glanze zu verschwinden. Vergebens hatte dieser einzig dastehende Geist auf seinem Sterbebette davor gewarnt, daß Unberufene und Mittelmäßige sich in die Tiefen seiner Wissenschaft versenken. Man bemächtigte sich der gesammelten Schriften, so gut man konnte, und eine neue, ungeahnte Gedankentiefe that sich auf, die in Polen Männer fand, wie R. Natan Spira, Rabbiner in Krakau, dem der strenge, die höchste Autorität repräsentirende „Schach" in seiner Schilderung der Katastrophe von 1648 das Ephiteton „Gottesmann" beilegt, einen Titel, den
man in jener, mit Ehrenbezeugungen äußerst kargenden Zeit nur einem, dem Range eines Propheten würdigen Manne beizulegen sich entschließen konnte. Sein, als Kabbalist wahrscheinlich noch bedeutenderer Zeitgenosse R. Schamschon von Ostropolje, hatte mit 600 Schülern in demselben Jahre den Märtyrertod erlitten. So schnell hatte die Weisheit des Ari in Polen Fuß gefaßt, daß der Erstgenannte in der Krakauer alten Schule vor dem Publikum Vorträge halten konnte, die eine tiefe Kenntniß seitens der Hörer voraussetzten, die heutzutage geradezu unbegreiflich erscheint. Aber wie das goldene Kalb auf die Offenbarung, erfolgte der jähe Rückfall durch das Auftreten der fluchwürdigen Sabbathianer- sekte, die wie eine giftige Viper aus dem Rosengarten der prophetischen Phantasie hervorschoß und den Bestand des Judenthums mit weit größerer Gefahr bedrohte, als die durch ihre eisige Kälte ertödtende aristotelische Scholastik. So kam es, daß das Studium des Sohar gerade so mit dem Banne belegt wurde, wie seiner Zeit das des More Nebuchim, und mit ebenso zweifelhaftem Erfolge, denn das Verbotene reizt. Diese Gefahren waren es, welche die rastlosen Grübler veran- laßten, sich in die tiefsten Tiefen des Pilpul zu flüchten, um alle rationalistischen und mystischen Einflüsterungen zu betäuben, gleich dem Propheten Jona, der sich vor dem tobenden, Schiffbruch drohenden Sturme auf den Boden des Schiffes niederlegt, um demselben in tiefem Schlafe zu entfliehen.
Die Geschichte des Judenthums ist ein ewiger Kampf um die höchsten Güter des Geistes und Gemüthes, in welchem Sieg und Niederlage einander ablösen. Wieder einmal nach einem glänzenden Angriffe geschlagen, warf man die Waffen weg und versteckte sich, wie man konnte. Die Folgen blieben nicht aus. Die damalige Gesellschaft von Rabbinern, Dajanim und Melamdim, denen die Führung und Vertheidigung anvertraut war, wäre in Polen geradeso wie im Westen von der eindringenden Hochfluth des Zeitgeistes weggeschwemmt worden, wenn nicht die göttliche Vorsehung andere Führer mit einer zielbewußten, energischen und weisen Organisation auf den Plan gesendet hätte. Wie es im Westen aussah veranschaulicht uns eine Aufnahme des von Napoleon I. einberufenen Syn- hedrions vom Jahre 1806, leider eine Karrikatur des antiken von Jerusalem. Eine Gesellschaft müder Greise in französischer Tracht, mit Allongeperrücken, mit Aurum