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Der Chaßidismus : eine kulturgeschichtliche Studie / von Verus
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losesten Charaktere, welche die Menschheit hervorgebracht hat. Auch gehörte er dem größten Geburtsadel an. Denn mütterlicherseits war er ein Urenkel des berühmten Hohen Rabbi Löw, vulgo Mahral von Prag, der als Wunderrabbi und Liebling des Kaisers Rudolf II. seit Jahrhunderten in der Volkslegende fortlebt. Dieser führte seinen Stammbaum auf eine große Wormser Rabbiner- familie in direkter Abstammung von R. Hai Gaon, einem Sprößling des Königs David männlicher Linie, zurück. Väterlicherseits führte der Chacham Z'wi seinen Stammbaum auf König Saul, ebenso wie sein Verwandter, der R. R. Heschel, zu- rück. Von Geburt polnischer Jude, wurde dieser fast bedeutendste Mann seiner Zeit nach Ungarn verschlagen, bei der Eroberung Ofens durch die Türken nach dem Orient gebracht, wo er die spaniolischen Gelehrten durch seine geistige Ueberlegenheit in Bewunderung versetzte. Dort erhielt er den TitelChacham" und den Bei­namenAschkenasi" (der deutsche, Sammelname für polnische und nordeuropäische Gelehrte überhaupt), ging von dort nach Hamburg und Amsterdam, von wo er nach Polen flüchten mußte, um als Rabbiner von Lemberg sein ruhmreiches Leben zu beschließen.

Es ist nicht immer ein Glück, als Sohn eines so bedeutenden Vaters geboren zu werden und als Erbe so hohen Adels sich auf schwindelnde Höhen gestellt zu sehen. R. Jacob Emden stand den polnischen wie den orientalischen Juden mit einem gewissen angeborenen Selbstgefühl der Ueberlegenheit gegenüber und theilte mit beiden die Geringschätzung des flachen deutschen Juden. Er erzählt eine Aeußerung der polnischen Edelleute, die seinen Vater in Lemberg kennen gelernt hatten und die polnischen Juden nicht würdig fanden, einen solchen Mann zu besitzen. Jedenfalls eigenthümlich klassische Zeugen. Aus dieser Mißachtung seiner Zeitgenossen entsprang seine Abneigung gegen die Annahme eines Rabbinats- postens, gegen Herrschaft und die damit verbundene Abhängigkeit von den zu Beherrschenden. Aber das war nur eine von mannigfachen Selbsttäuschungen.

Der babylonische Talmud berichtet von R. Josua ben Perachja, auch von Juda ben Tabbai, der jerusalemische von R. Josua ben Kapusai folgenden Aus­spruch:Wenn mir Jemand in meiner Zurückgezogenheit die Würde eines Ober­hauptes angetragen hätte, so hätte ich ihn binden und den Löwen vorwerfen mögen. Heute, nachdem ich das Amt bekleide, würde ich auf Denjenigen, der mir den Antrags stellen möchte, davon herabzusteigen, einen Kessel siedenden Wassers schütten." Selbsterkenntniß ist schwer, falls nicht unmöglich.Verborgen ist das Herz vor Allem und menschlich schwach, wer vermag es zu erkennen?" (Jeremia 17, 9.) Der jerusalemische Talmud bemerkt zu jenem tanaitischen Ausspruche: R. Jose b. R. Bun sagt: Gott behüte, anzunehmen, daß er die Herrschaft gewollt hätte; er wollte sie nur behaupten, weil ein andrer vielleicht nicht denselben Ernst der Pflichterfüllung besessen hätte. In der Ethik des Talmuds ist das Streben nach Herrschaft eine Sünde, als Bethätigung des feinsten und darum sündhaftesten Egoismus. Eine merkwürdige Auslegung im Midrasch zu Spr. Sal 6, 32 vergleicht denjenigen, der sich Herrschaft aneignet, mit dem Ehebrecher; nur wer sein eigenes Ich wie Moses zu opfern versteht, welcher sagte: O, wenn Du doch ihre Sünde vergäbest! wenn nicht, dann lösche michaus Deinem Buche" aus, der darf herrschen, NN WNL>V- Nun ist aber der Trieb

nach Herrschaft dem Menschen vom Schöpfer in die Seele gelegt:Und sie sollen herrschen" (I B. M. I, 26> über alle untergeordneten Geschöpfe, und damit ist auch der Trieb zur Beherrschung der geistig Untergeordneten durch den geistig Ueberlegenen gegeben. Diesem Dilemma, dieser Kollision der Pflichten, suchte Jaabez aus die Weise zu entgehen, daß er sich von allen öffentlichen Aemtern zu- rückzog, keine Würde als Bürde annahm, hingegen als Szepter die Feder führte