Druckschrift 
Der Chaßidismus : eine kulturgeschichtliche Studie / von Verus
Entstehung
Seite
31
Einzelbild herunterladen

31

Höhen zu erheben. Wir sehen, daß jedes, auch das kleinste, Lebenswesen Furcht gleichsam als Lebensprinzip in sich trägt, was wir ja z. B. bei der Fliege so leicht beobachten können.

Furcht ist die Kehrseite der Liebe; denn Furcht vor dem Tode ist identisch mit der Liebe zum Leben, sie ist nur die Aeußerung einer Kraftanstrengung Pachad (1NL>) Gewurah () mit welcher sich die Seele an den Körper oder das Or (chitt),

das geistige Element, an das Keli, das Organ, klammert. Der Urquell alles Lebens ist die unfaßbare, über jeden Begriff erhabene göttliche Majestät. Es ist daher nur eine Art der Furcht gestattet, die Furcht vor der Trennung von Gott, und diese Furcht ist der Pfad und das Thor, durch welches wir uns zu ihm erheben, von allen Fesseln des Körpers und der Leidenschaften freimachen können." Wir werden später Nachweisen, in wie verschiedenen, wunderbar tiefen Variationen seine Schule dieses Thema behandelt. Jede andere Furcht, sei es Furcht vor Strafe, vor der Hölle oder vor dem Verluste der Seeligkeit, ist Egoismus, Selbst- dienst, kein wahrer Gottesdienst. Ist dieser erste Grundsatz des Chassidismus etwas Neues, Erfundenes, etwa demnach dein Judenthum Fremdes, oder nur ein unter dem Drucke kleinlicher Verhältnisse in Vergessenheit gerochenes Grundprinzip der alten jüdischen Lehre? Sohar (INtt) und Ari sind voll davon;

aber wer kennt sie und will davon wissen? Nehmen wir die Thora zur Hand! Da finden wir bei unserem Stammvater Abraham, bevor er noch das Bundes­zeichen trug, bei demBunde zwischen den Stücken", der ersten göttlichen Offen­barung (1. B. M. 15, 12):Und siehe, eine dunkle, große Furcht überfiel ihn." Sein Sohn Isaak hat diese Furcht geerbt, daher Pachad Jizchak. Bei der Offenbarung am Sinai heißt es:Und es erzitterte alles Volk, das im Lager war." Diese Furcht steigerte sich derart, daß die Israeliten nach Anhörung der Zehn Gebote Mosche baten, daß nur er zu ihnen reden möge,damit wir nicht sterben". Dieser Eindruck wirkt in dem Herzen wirklicher Juden unauslöschlich fort bis an das Ende der Tage. Die Thora schließt mit: ^2^1

und all der großen Furcht, welche Mosche bewirkt vor den Augen von ganz Israel". Wir finden sie auch bei dem Propheten Samuel, wo Saul in den Kreis der Prophetenschüler tritt und als ungewohnter Neuling durch dieselbe seine Sinne verliert auf einen Tag und eine Nacht. Wir finden sie bei Jesaja 2, 20:An diesem Tage wird der Mensch seine silbernen und seine goldenen Götzen, die man sich zur Anbetung gemacht hat, den Maulwürfen und den Fledermäusen zu­werfen, um in den Felsenhöhlen und in den Steinklüften sich zu verbergen aus Furcht vor dem Ewigen und der Hoheit Seiner Majestät, wenn Er kommt, um die Erde zu beherrschen." Wir finden sie bei Daniel 10, 7:Und ich, Daniel, sah allein die Erscheinung, aber die Männer, die mit mir waren, sahen die Erscheinung nicht; aber es überfiel sie ein großer Schrecken, und sie entflohen, um sich zu verstecken." Dann schildert er:Und als Er zu mir sprach, erhob ich mich zitternd." Wir finden sie bei David: 11^2 -jlNDQ 2VO.Es erschauert

aus Furcht vor Dir mein Körper." Wir finden sie aber auch im Talmud zu Berachot, welcher vorschreibt, daß das Thorastudium nur mit PUt ^N-> NWX Furcht, Ehrfurcht, Zittern und Beben" vorzunehmen sei, und der Talmud kennt keine Phrasen.

Der Nachfolger des Balschemtow, R. Dowber Meseritscher, sagt im Eingänge der von ihm gesammelten Sprüche Likute Amarim:Es giebt Menschen, welche mit Weinen beten. Im Grunde genommen, kommen sie über eine Aeußerung ihres melancholischen Temperamentes nicht hinaus. Es giebt Andere, die im Gebete ihrem Frohsinn Raum geben. Das ist das sanguinische