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und wie Ari behauptet, wird bei gewöhnlichen Menschen durch das Fasten das Großhirn auf den Rang des Kleinhirns hinabgedrückt (mochin dekatnus). Das entspricht denn auch im Allgemeinen dem Niveau der damaligen Gesellschaft, na- türlich mit Ausnahme bevorzugter Männer, an denen es die göttliche Gnade nie hat fehlen lassen, die dem Verfalle, der physischeil, geistigen und religiösen Ent- artung zur rechten Zeit entgegentraten.
Den krankhaften Zorn, die nervös reizbare Empfindlichkeit, die ätzende, alles zerstörende Kritik, den Gelehrtendünkel, den übertriebenen Scharfsinn, die Menschenscheu und hilflose, an Narrheit grenzende Unerfahrenheit des Stuben- gelehrten beseitigt zu haben, ist ebenfalls ein Verdienst der neuen Organisation, welche die Angriffe und Verfolgungen der alten, durch unverwüstlichen Humor zu entwaffnen, stillschweigend dem gemeinen Manne überließ.
Wie wenig die damaligen Führer ihrer Aufgabe gewachsen waren, zeigt uns die Zusammensetzung der hervorragendsten Behörde von Dajanim (Richtern, Rabbinatsassessoren) und Melamdim (Lehrern) einer großen Stadt, die aus dem Leben geschildert zu werden verdient. Da ist der eine, R. L., ein bedeutender Talmudist, der so wenig die Praxis kennt, daß ihn bei einer rituellen Frage erst seine Mutter darauf aufmerksam machen mnß, daß das zu untersuchende Organ kein „Pippeck" (Magen), sondern eine Leber ist. — Der andere, R. S. W. hält eine Trauerrede über eine verstorbene Negidis (reiche Frau) mit folgenden Worten: Ois wehodor lewüscho, „Stärke und Schönheit ist ihr Kleid". Vorzeiten is man gegangen in Kotton (Baumwolle), is es gewesen stark, aber nischt schein. Haint geit man in Seid, is es schein aber nischt stark. Ois wehodor lewüscho, sie is doch nebbich gewesen schein ün stark." — Ein andrer, Verfasser eines gelehrten Werkes, sagt bei einem ähnlichen Anlasse: Der Mensch is geglichen zu ein Bedner (Faßbinder). A Bedner, heut geht er herum um das Faß, un morgen sterbt er, asoi is der Mensch auch asoi. — Der Vorsitzende, R. M., wegen seines Gedächtnisses und Scharfsinnes berühmt, ist so einfältig, daß er bei einem großen NN1N (prozessualen Akt) zwischen einem Neologen, einem Großkaufmann, und einem Holzhändler wegen Lieferung von Oblok (Schwarten) statt Brettern nach tagelangem Hin- und Herdebattiren den weisen Ausspruch fällt: Der „Rabbi Oblok" muß selbst kommen, damit wir ihn hören können. Sein Bruder, der sich einen Namen durch gewisse kritische Studien und Alterthumsforschungen gemacht hat, bei denen er seine Frau halbtodt prügelte, ist eine der komischsten Figuren, mit ausgesprochenem Größenwahn, dem keine Autorität etwas gilt, und ohne jede Ueberzeugung. Ein andrer ist das richtige Bild des zerstreuten Professors. Er stellt sich in der Mitte des Marktes hinter einen Wagen auf der Prager Kleinseite und merkt nicht, daß der Wagen davon- fährt, so vertieft ist er in seinen Gedanken. Er sitzt neben dem Vorsitzenden, und da es ihm juckt, kratzt er jenen zu dessen größtem Befremden. Man erzählt ihm, daß sein Verwandter als Erster am Sabbath in der Christenstadt seinen Laden offen hält. Er will es nicht glauben und bestellt den Faktor, der es erzählt, auf den nächsten Sabbath, um sich durch den Augenschein zu überzeugen. Im Wochenanzug geht er hin, trifft den Laden offen. Es ist aber außer dem Ver- wandten Niemand drin, weil keine Käufer da sind. Du Schaute, sagt er, wozu hältst Du den Laden offen? Verkaufen darfst Du doch nicht, wozu also den Laden offen?
Es sind aber auch gescheute Leute dabei, die sich mit Maimonides' More Nebuchim („Führer der Verirrten") und insgeheim mit den neologen Schriften befaßt haben. Sie leisten insgeheim den neu auftretenden Neologen in ihrer Stadt allen möglichen Vorschub und erregen durch mancherlei Verstöße das