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Der Chaßidismus : eine kulturgeschichtliche Studie / von Verus
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daß sie bei ihren Festenltaete concinebant, fröhliche Konzerte gaben. Als Be­gleiterin der Propheten finden wir die Musik zuerst bei Samuel in seiner Pro- phetenschule. Sein Enkel, Heman, der Seher, mit 14 Söhnen, im Vereine mit Assaf und Etan C^X), der mit Jedutun identisch zu sein scheint, bilden unter Davids Leitung einen prophetischen Sänger- und Psalmistenchor von 288 Leviten, Meistern und Schülern. Als erster Dirigent, der in der Weltgeschichte erwähnt ist, erscheint Kenanjau (1. Chron. 16,22):Und Kenanjan, der Fürst der Leviten im Prophetenchore, er leitet denselben, denn er ist Meister." Die Zahl der musi­kalischen Instrumente und ihrer poetischen Benennungen ist eine große, ihr Wesen den Erklärern unbekannt. Auch der Prophet Jesaja scheint nach einer Andeutung des Ari von den Leviten abzustammen, wenigstens mütterlicherseits. Darauf deutet auch der nach Levitenbrauch irr der Nachkommenschaft sich immer wieder­holende Name des Ahnen Jesaja's (1. Chron. 25,3) und sein in der ersten Prophezeihung gebrauchter Ausdruck: V'52, welcher die

Namen zweier Söhne Heman's wiedergiebt (1. Chron. 25,4). Es dürfte wohl keinem Zweifel unterliegen, daß die Musik dieser Propheten und Psalmisten, deren geistige Ueberlegenheit und Erhabenheit des Gemüthes alle Völker der Erde anerkennen, zum mindesten so hoch stand, wie die göttliche Macht ihrer Sprache. Wir haben in den Taamim den ältesten Versuch einer Festlegung der Musiktöne durch Zeichen, einer Notenschrift, die auf Aehnliches in den Levitenschulen schließen läßt. Obwohl auf die Nachwelt nichts davon überkommen ist, so zeigt uns die neueste Technik, daß es Menschenhänden möglich ist, durch das Mikrophon Gesänge durch Jahrtausende festzuhalten. Das ist aber nur ein Fingerzeig für die Richtigkeit der These des Sohar, daß im Universum kein Ton verloren geht. Das Weltgedächtniß, ein Werk von Schöpferhand, ist unendlich feiner, als das menschliche Werkzeug. Daher verseht uns der wunderbare Gesang eines Judenknaben, der, von unerklärlichem Genie begabt, den Worten des Mismor Schir lejaum haschabbos (Ps. 92) einen Inhalt zu geben weiß, als ob die Worte erst neu aus dem Munde der Leviten kämen, in ferne Jahrtausende zurück. Bekennen ja selbst die größten arischen Meister der Tonkunst, daß ihnen ihre Eingebungen von irgendwo angeflogen kommen, wie aus einem unfaßbaren Nebel.

Volhynien, die Wiege des Chassidismus ist in gewissem Grade auch die Wiege des Gesanges. Wenigstens behauptet der Russe Rubinstein, selbst in Italien keine derartige Fülle klangreicher Organe gefunden zu haben, wie in den zwei Gouvernements Zytomir und Kischeneff. Der Chaßidismus hat auch hier einen national-religiösen Melodienreichthum geschaffen, der die Beachtung des Musik­freundes verdient.

Die wichtigste und einschneidendste Aenderung, welche der Balschemtow hin­sichtlich des Gebetes getroffen, bleibt jedoch - die Einführungdes sephar dischen Ritusn . Ein merkwürdiges Zusammentreffen, daß auch die Reform i unbewußter Nachäffung dasselbe gethan hat. Nur daß da der Satz gilt: Si duo faciunt idem, non est idem (Wenn zwei dasselbe thun, ist es darum noch nicht dasselbe). Die Reform wollte erstens die sephardische (portugiesische) Aussprache des Hebräischen, weil sie in christlichen Gelehrtenkreisen bevorzugt war und für vor­nehmer galt. Zweitens war der spanische Tempelritus mit seinem Pomp und seinem Choral durch die eigenthümlichen Verhältnisse der spanischen Juden, namentlich der zurückgekehrten Marranen, schon bedeutend entjudet. Drittens hatte man eine wohl­feile Vermummung für die Zerstörung des Bestehenden durch eine scheinbare Ver­besserung und Vereinigung mit den reichen, adelsstolzen, und halbassimilirten