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Der Chaßidismus : eine kulturgeschichtliche Studie / von Verus
Entstehung
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Nacht das gelernt, wozu ein vorzüglicher Schüler später 100 Jahre gebraucht haben würde. Was in diesen Schulen gelehrt wurde, das finden wir in den Psalmen unlnden Prophetenschriften niedergelegt, deren tiefe Weisheit, erhabene und Alles umfassende Weltanschauung, ganz abgesehen von der Gemüthstiefe, die Denker aller Zeiten zur Bewunderung hingerissen hat. Denken wir nur an Ps. 104, der selbst dem im modernen Materialismus unter Vulkanen erstarrten, dein hohen Geiste der Antike entfremdeten Alexander von Humboldt ungetheiltc Bewunderung als unvergleichlich dastehende Naturanschauung abgerungen hatfvgl. seineuKosmos). Nach Ansicht der Chaßidimrabbis war die Thora, mit prophetischem, durch keine Scheidewand von Zeit und Raum behinderten:Auge betrachtet, das einzige Objekr des Studiums. Die Vergangenheit, die nur für uns nicht mehr eristirt, die wir als (vor llolecll, gehendes Geschlecht) dem Jahresringe des Baumes gleichen, für den nur dieser Jahresring wirkliche Existenz besitzt, steht im Welt- gedächtniß in festen Formen da, und schon im Keimkerne des Baumes ist seine Zukunft, die Grenze seines Wachsthums, in Zeit und Raun: nach bestimmten Gesehen festgestellt, wobei zur Lösung des Probleines von Freiheit und Gesetz­mäßigkeit die Fähigkeit der Erkenntlich abgeht. Die Schöpfuugslchre der Thora, das im Talmud Chagiga II als überliefertes Mysterium genannte Tlmmse Bere5cbnb, zeigte dem Propheten den Vorgang der Schöpfung in ihrer ganzen Entwickelung und im Bilde des Weltgedächtnifses.

Daß dem so ist, beweist uns in überraschendster Weise ein Zeitgenosse des Balschemtow, R. MoseC h a i m L u z z a t o, der nun fast 150 Jahre vor der neuesten Erforschung des Erdinnern, die von keinem Forscher geahnte Ent­wickelungstheorie (deductiv) und in wunderbaren Gesetzen schildert, die uns mit- , leidig auf die spleenigen Verirrungen der Modernen herabblicken lassen, die sich wie Motten die Flügel an dein Lichte verbrennen. Die betreffenden Schriften Luzzato's, durch die Chaßidim vor dein Banne der damaligen A'abbiner gerettet, sind an andrer Stelle ausführlich besprochen worden. Ohne uns hier weiter darauf einzulassen, genügt uns diese Erfahrung, um uns die Nilentbehr­lichkeit dieser Wissenschaft als einziger Waffe gegen den sogenannten Zeitgeist und seine Entartung, gleichzeitig mit Vernichtung jedes Zweifels an ihrem Werthe, den die Unwissenheit aufwirft, - - darzuthun.

Damit ist aber auch die große Gefahr sigualisirt, welche diese Lehre in sich birgt, und vor welcher Nachmauides in seiner Einleitung zum Thorakommentar io eindringlich gewarnt hat, und darum hat die Mischna die Beschäftigung mit diesem Mysterium der Schöpfungslehre nur zu Zweieil gestattet unter der Bedingung, daß man es mit vollständig reifen Weisen und selbständigen Denkern zu thun habe, welche die Kluft, die zwischen dem einfacheil Texte und der Ueber- lieferung besteht, zu überbrücken wissen.. Die Neberlieferung, 'l'hom »elmd'nlpab, ist ja eben zu dem Zwecke nur mündlich weitergegeben worden, damit Israel als von Gott, zu Priestern und Lehrern der Menschheit bestimmte Sendboten Seines Willens die Thora, die aber dennoch durch die Schrift bis zu einem gewisseil Grade Gemeingut der ganzen Menschheit werden sollte, ungetrübt und ungestört sich erhalten könnte. Der große Gesetzeslehrer R. Mose von Couch (1240) zitirt im Leinas (Solar mj/nvmm Aockaul) einen Midrasch, der da sagt: Beim jüngsten Gericht wird der höchste Richter den Richterstnhl einnehmen mit der Thorarolle im Arme und wird sagen: Wer dieses inne hat, der ist Mein! Darauf werden alle Völker sagen: Wir kennen diese Schrift. Worauf die Antwort erfolgt: Ihr kennt sie nicht; Ich meine dasjenige Volk, das in das innerste Wesen Meiner Lehre eingedrungen ist P-UVO 'Q), und das ist Israel.