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Auf die Schöpfungsgeschichte folgt die Geschichte der Menschheit, die vor dem Auge des Prophetenschülers ebenso lebendig vorüberzieht und dasselbe in die Tiefen der Weltleitung Einblick nehmen läßt. Das wird lVlaagseb iVlerbada der Thronwagen, genannt, d. h. das Gesammtbild der göttlichen Regierung mit ihren unendlichen Problemen, die nur durch die geläutertste Phan- ' tage in der geistigen Kunst der Symbolik begriffen werden kann. Jesaja war der Erste, der hierüber Einiges der Schrift anvertraute. In einer weit untergeordneteren Sphäre, aber um so bildreicher und ausführlicher, schrieb Ezechiel im Exile. Es ist aber sehr leicht nachzuweisen, daß dieselbe Lehre seit Samuel Gegenstand der Prophetenschulen war, denn es heißt in einem wörtlichen Citate aus David's Nachlaß an seinen Sohn Salomo beim Bau des salomonischen Tempels (1. Ehr. 28,18): „Und die Form der Merkabah, die goldenen Cherubim, alles in göttlicher Schrift, (durch den Propheten Samuel; s. das. den mit dem Namen Raschi's benannten Kommentar) machte Er mir begreiflich, alle Arbeiten der Kunst." Eine merkwürdige Vervollständigung dieses Berichtes liefert Josephus in seinem Werke über die jüdischen Alterthümer unter Benützung antiker Quellen, namentlich der abhanden gekommenen Annalen der Hohenpriester, wonach die Füße der kupfernen Wasserreservoirs im ersten Tempel mit den 4 Emblemen der Schilderung Ezechiel's geziert waren. Ucbrigens finden wir denselben Ausdruck auch in den Büchern der Könige (I, 7,33), worin es heißt: „Und die Arbeit der Räder war die des Olan (Rades) der lckerstnbnb (des Himmelswagens)", was um so weniger aus einen profanen Wagen gedeutet werden kann, da es selbstverständlich ist, daß ein Rad einem Wagenrade gleicht. Daher übersetzt auch das Targum Jonathan diesen Satz: (lEuunnck MMlö merenbnt Mnrn), und
auch der Kommentar sieht sich gezwungen, es so zu erklären. Wir gewinnen somit einen Einblick in das innere Wesen der Prophetenschulen, so wortkarg die heilige Schrift auch in dieser Beziehung ist.
Diese Symbolik war nach dein Zeugnisse der Mischnah und auch selbstverständlich ein Hauptthema der Prophetenwisseuschaft. Sie birgt die zweite große Gefahr, vor welcher schon die Thora warnt: „Ihr sollt Euch außerordentlich hüten, um Eurer Seelen willen, denn Ihr habt keinerlei Gestalt gesehen, am Tage, da der Ewige zu Euch sprach."
Die Ohnmacht des menschlichen Geistes, die Unvollkommenheit oder, besser gesagt, die Halbheit seiner Erkenntnißorgaue sieht sich hier einem Probleme gegenüber, dessen scheinbare Widersprüche seit jeher die denkende Menschheit beschäftigt haben. Einerseits erkennen wir ein andres Objekt außerhalb uns nur durch uns selbst; wir nehmen nur die Eindrücke wahr, welche dasselbe auf eine ganze Reihenfolge vermittelnder Erkenntnißorgane in uns hervorbringt, erkennen demgemäß nur eiue Thätigkeit, die, in unser eigenes Ich übersetzt, uns einen Begriff von deni Objekte unsrer Erkenntnis; bildet, wir können daher nicht anders als antropomorph vorstellen, durch Rekapitulation des in uns durch jene Einwirkling entstandenen Bildes. Weil nämlich das eigentliche Centrum unsrer Erkenntniß das Ich bildet, so wird jedes Objekt durch dasselbe mehr oder weniger personifizirt. Das Wort „P erso n" ist eine römische Verstümmelung des griechischeil Prokopon, welches als ^212 (Unrmch in das Talmudische übergegangen ist, wo es „Gesicht" '
bedeutet. Im Griechischen bedeutet es ursprünglich die vor das Gesicht genommene Maske, demgemäß als Person die Erscheinung eilies Individuums in seiner äußeren Form, das wir jedoch nicht selbst kennen. Das Ich als Erkenntnißorgan begnügt sich jedoch mit der äußerlichen Erkenntnis;, und indem cs das Objekt an sich angliedert, wird diese Erkenntniß eine scheinbar positive. Andererseits ist die Natur