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vollzogen hat, seitdem sie durch den ersten Rabed von Nimes als Erwiderung aus das System des maimonidischen Moreh und, provozirt durch dasselbe, aus ihrer Verborgenheit zuerst wieder in die Oeffentlichkeit trat, bis der jüngste Rabed sie zum Abschluß und Wiederanschluß an den großen Maimonidcs gebracht hat.
In Hilchoth T'schubah III, 7 schreibt Maimonides, daß unter die Benennung Min (Ketzer) auch derjenige fällt, der sich den Schöpfer auch nur in Gedanken als eine Gestalt vorstcllt. Der Rabed greift ihn deswegen an und sagt: Warum soll ein solcher den Namen Min verdienen, es hat doch größere und bessere gegeben, die in diesen Jrrthum verfallen sind, weil sie die Agadoth gelesen haben, welche die Begriffe verwirren (MP1N NX PL^l^QN)? Obwohl er also im Prinzip mit Maimonides einverstanden ist, will er doch die Zurücksetzung der Irrenden nicht gelten lassen und greift mit einer erstaunlichen Kühnheit die Agada des Talmuds an, zu dessen großartigsten Heroen sowohl er, wie Maimonides gehören.
Man hat Maimonides den kühnsten Rationalisten genannt. Der Rabed geht hier jedoch weiter, als Maimonides es je gewagt hat. Der schärfste Ausdruck, dessen er sich im Moreh bedient, wo er gegen die Ansicht unserer Weisen auftritt, daß Alles, auch der Sonnenball, aus Staub sei, beschränkt sich auf die Anrede an seinen Schüler: „Ich habe Dir schon gesagt, daß Du Dich um keine Sentenz zu kümmern brauchst, (wenn dieselbe nämlich mit der Wissenschaft in Widerspruch steht)." Nun ist zwar Aristoteles trotz seiner mathematischen Scheinbeweise für die Stosflosigkeit der Himmelskörper und seiner poetischen inateria Quinta (Oe8cbem backninmcbi) von der wirklichen Naturwissenschaft ebenso gründlich desavouirt worden, wie sie die Sentenz des Talmud rehabilitirt hat. Da aber Maimonides für andalusische Universitätshörer schrieb, die Aristoteles höher stellten, als die Propheten, so mußte er den fixen Ideen seines Zeitalters diese Konzession machen. Für-das Auftreten des Rabed hingegen müssen erst die Ursachen und Anhaltspunkte gesucht werden, sowohl sachliche als persönliche. Sachliches! es die Transcendentalität der Kabbala, die noch viel weiter geht, als die des Moreh. Maimonides bleibt-nämlich in der Forschung über die Attribute des Schöpfers bei dem Positivum der aristotelischen reinen Vernunft stehen, deren Verhältniß zu dessen Wesenheit wir jedoch nur negativ begreifen, daß sie nicht wie beim Menschen von dessen Wesen verschieden, sondern mit derselben auf uns unfaßbare Weise eins sei. Maimonides streift dabei hart an das Gebiet der Mystik. Die Kabbala hingegen stellt als obersten Grundsatz aus, daß das Wesen des Höchsten absolut unfaßbar sei, kein Begriff dasselbe umfassen oder auch nur bezeichnen könne, nicht einmal die menschliche Vorstellung des Seins, die von Raum und Zeit nicht unabhängig vorgestellt werden kann, und wenn wir von dem Unendlichen oder Absoluten sprechen, so reicht auch das nur für den in der Schöpfung manifestirten Schöpferwillen hin, aus dem alle übrigen Attribute, wie Weisheit und Güte, sich erst entwickeln wie die Zweige aus einem Stamme. Das Verhältniß des Willens zu seinem Besitzer entzieht sich jedem Begriffe.
Persönlich tritt der Rabed, vor dem der große Nachmanides (Ramban) förmlich zittert, genau so wie Maimonides mit der ausgesprochenen Absicht der Begründung einer ganz neuen Epoche auf. Die so verschiedene Geistesrichtung dieser beiden Großen wird erst in das richtige Licht gestellt, wenn wir sie im Verein mit zwei anderen etwas älteren Zeitgenossen, dem Jbn Esra und dem Raschbam (R. Samuel b. Meir) betrachten — vier Elemente, welche an der Schwelle des fünfteil Jahrtausends unsrer Zeitrechnung theilweise unbewußt eine völlige Umwälzung und Neuformirung der Gedankenwelt im Judenthum hervorgebracht haben. Zum Verständniß unseres Themas, der Formation des Chaßidismus, welcher heutzutage das Gros der Judenheit und seine lebensfähigsten Elemente