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Der Chaßidismus : eine kulturgeschichtliche Studie / von Verus
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Der Weg, den der Raschbcnn eingcschlagen, führt in seiner völligen Unab- ängigkeit vom Talnmd noch viel weiter als Jbn Esra's Erklärung zu fast un- ösbaren und unhaltbaren Widersprüchen, als wären Ueberlieferung und Schrift wei von einander vollständig unabhängige Parallelen ohne Berührungspunkte. M allen diesen räthselhasten Erscheinungen spiegelt sich die Wechselwirkung wieder, velche der Strom der Zeitgeister einer Sturm- und Drangperiode ohne Gleichen n den führenden Geistern von Kairo bis Nimes, Paris und London erzeugte md den Blüthenstaub einer neuen Ideenwelt über die Meere zurücktrug.

Diesen: alle Schranken durchbrechenden Streben nach den höchsten Höhen er Erkenntniß, hat Nascht selbst in den von ihm nach der furchtbare:: Verfolgung on V277 (48661096) verfaßten Piut von Jom Kippur Ausdruck gegeben ^211 87 IM72 N1"17), der eine ebenbürtige Antwort der Gemeinde Israels uf die vor 24 Jahrhunderten an sie gerichtete angedrohtc göttliche Strafrede 77217) bildet, wenn er in seinem erschütterichen Gebete sagt:Löse das Siegel er Lehre, Dein Geheimniß offenbare in: Lernen!" Dieses Streben führt den: chn Esra die Feder, es veranlaßt den Raschbam, was Maimonides nicht wagte, en geheiligten Namen des Höchsten zu erklären (B. II ?. 2), und nun kommen vir zu Maimonides und Rabed in ihrem Verhältnis) zu demselben zurück.

Maimonides' Größe ist merkwürdiger Weise in ihrer vollen Heiligkeit rst von den: Ari, dem lebendig gewordenen Sohar, dem größten Kabbalisten t. Isaak Luria gewürdigt worden, und mit noch größerem Nachdrucke von t. Israel Balschemtow und seinem Geistesbruder R. Chaim bei: Atar von Je­rusalem. So berühren sich die Extreme oder, wie der hebräische Ausdruck lautet: ubnkuebin: nebln: (2^78 7^2277) in den geistigen Höhen. Selbst der große Wilnaer Gaon kann sich noch nicht zu dieser Ehrerbietung ausrafsen aus Äerger darüber, daß Maimonides den Dämoncnglauben verwirft. (Vergl. dessen Note zu Jore Dea lllilebot Neonei: nm'cba8cbel.

Maimonides' Verhältniß zum Talmud schildert der große Nachmanides in lapidaren Worten:

(llbel wlmuclenu lmscbomen: 8cbim3mot owm s'komem)Und das Ver­ödete Haus unsres Talmud, das scheinbar für immer in Trümmer gelegt war, richtet er wieder auf. Wer hat die Karaiten geschlagen, die mit inachtvollem Schritt Alles niedertraten, wer hat ihre Adeligen von: Hofe der Kalifen ver­trieben, wenn nicht Er?" Die Zerstörung der uralten babylonischen Hochschulei:, die Vernichtung des Gaonats und des Exilarchats (Resch Valuta), knapp 100 Jahre vor der Geburt des Maimonides, hatte damals einen Eindruck hinterlassen, welcher der Lage nach der Zerstörung des Tempels an Nachhaltigkeit der Trauer und der Verzweiflung nicht viel nachgab. Der Talmud ohne Raschi's Kommen­tar war ohne mündlichen Vortrag der einzelnen großen Lehrer für die Massen sowohl wie für die Schüler so gut wie nicht geschrieben. Es war noch immer Dbora scbed'alpeb, wie zur Zeit des Ahnherrn Maimonides', des Patriarchen R. Juda Hanassi, bevor derselbe sich zur Niederschrift der Mischnah entschloß, und bei dem Mangel der Buchdruckerkunst mußten richtige Manuskripte mit Gold ausgewogen werden. Nur so erklärt es sich, wie man an den größten Gelehrten seiner Zeit, den Alfasi, ein Schreiben richten konnte mit der Frage, was unter ,Hgur blatar (7121 71X, Zinszahlung für die Stundung einer Schuld) zu verstehen sei, eine Frage, die heutzutage ein sechssähriger Knabe beantwortet. Es war damals die Zeit, von welcher der Prophet sagt:Zu jener Zeit wird man nach allen Richtungen das Wort Gottes suchen und es nicht linden." Der Talmud bemerkt dazu: Unter demWorte Gottes" ist dreierlei zu verstehen: erstens die Halacha, das göttliche Gesetzeswort, zweitens die