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eine Spalte in die Mikwe hineingefallen war. — An Stelle des Fastens, das immerhin doch den Körper schwächt, dein Gehirne znm Denken nöthiges Blut entzieht, den Jähzorn und den krittlichen Trübsinn begünstigt, trat bei den Chaßidim das Körper und Geist belebende Tauchbad, das man sich im Winter durch Aufhacken des Eises im Strome verschaffte. Der Balschemtow Pflegte nach Kabbalistenart zu sagen: (Habak. 3,12), wobei die
Anfangsbuchstaben von sind.
Das sind die drei Vorschriften, auf welche im Golus für die Erhaltung der Religion das Hauptgewicht gelegt werden soll. Das Schächten (NN'Ii), wofür er die einseitig scharfe Schleifung einführte. Von demselben hängt die Beobachtung aller Speisegesetze ab; es ist eine der ersten Grundlagen unsrer Religion. Die Erubin sind der Schutz der Sabbatheiligung, unseres höchsten Religionsgesetzes. Das Tauchbad ist das Grundgesetz der Fort
pflanzung durch die Heiligung der Ehe, des ganzen Familien- und Volkslebens, gleichzeitig der Reinheit des Körpers und der Seele. Wo dieselbe vernachlässigt wird, entsteht eine wesentliche Gefahr für diejenigen, die sich in die Regionen der Mystik begeben. Der Verfasser des Schulchan Aruch, N. Josef Karo, konnte bei seinein wahrhaft heiligen Lebenswandel an die Spitze seines Werkes die Anleitung stellen: Man erhebe sich von seinem Lager wie ein Löwe zum Dienste seines Schöpfers!
Der Philister brüstet sich damit, wenn er alle Vorschriften gelesen und am Ende gar auswendig gelernt hat. Aber darauf kommt es nicht an. Die alten Chaßidim pflegten zu sagen: Wenn man sich legt, wie ein Hund, kann man nicht als Löwe ausstehen. Nun kommt R. Mose Jsserles, der mehr zum Volke und seinen Gebräuchen hinabsteigt und stellt als Glosse zu jenem ersten Satze gar eine Sentenz aus dem More Nebuchim daneben, indem er bemerkt: ilTNIL', daß man sich vor Allem die Allgegcnwart des allerhöchsten Herrschers der Welt zu vergegenwärtigen habe auch in der Abgeschlossenheit des Wohngemaches. Das soll vor Allem die Ausgabe des Chossid sein, von diesem Lehrsätze nicht früher abzugehen, bis er denselben seinem Herzen eingeprägt hat, nicht blos dem gedankenlosen Gedächtnisse. Und wenn er dann zu dem Abschnitt 98 kommt, wo der Verfasser als Aufgabe des Gebetes die Behandlung desselben durch die Chaßidim des Talmud veranschaulicht, welche in ihrer Andacht alles Körperliche von sich abstreiften und dadurch in die Höhe der Regionen sich erhoben, welche an den Prophetengeist grenzen, so soll es Lebensaufgabe des Juden sein, denselben nach Möglichkeit nachzuahmen.
Wem dies nicht möglich ist, der soll sich wenigstens, wie dies schon R. Avigdor Kroo im Uliak als Ideal des Volkslebens vorschreibt, an die einzelnen, bevorzugten Männer anschließen, von denen er überzeugt ist, daß sie diese Stufe erreicht haben. Solche Männer nennen wir ^ackclikirn, die das ^ellek, das harmonische Gleichgewicht zwischen Körper und Seele,- hergestellt haben. Der Ameisenfleiß einer ganzen Generation von Studirenden ist nur dazu da, um den Weg für den Einen, Großen zu bahnen, der zu jeder Zeit nur einmal durch die Welt geht. Das ist bei uns weder der Eroberer, noch der Erfinder oder der Forscher, sondern der Mann der Gotteserkenntniß. Schon der Talmud stellt den Satz auf, den ein moderner Forscher (Carlvle) aus dem Reiche des Gedankens genascht hat, daß auch ein Volk nur ein Umweg ist, durch den die Schöpfung zu einem oder einigen großen Männern gelangt. Zu dem Schlußsätze des Koheleth: „Denn das ist der ganze Mensch" bemerkt der Talmud (Berachot 7): Die Welt ist um dieses Einen willen da, oder sie ist dazu da, um sich ihm anzuschließen, oder der Eine wiegt alle klebrigen aus.