Druckschrift 
Der Chaßidismus : eine kulturgeschichtliche Studie / von Verus
Entstehung
Seite
98
Einzelbild herunterladen

98

seine Person damit nicht abgegeben, aber er hat die folgende Generation dagu er­zogen und seinen Nachfolgern die Wege geebnet. Als drei Jahre nach seinem Tode der letzte Nest der jüdischen Autonomie in Polen durch die rauhe Hand des sächsischen Wahlkönigs aus der Heimath des Antisemitismus vernichtet wurde, war das Fundament der neuen Organisation bereits fertig. Alle derartigen Ver­änderungen vollziehen sich nach historischen Gesetzen. Ein Choßid erklärt auf diese Art die eigenthümliche Thatsache, daß Saul die Eselinnen seines Vaters suchen mußte, um ein Königreich zu finden.

Die /rtonot ^clrorol, die Weißen Eselinnen, werden im Liede Deborah's als die Attribute der Richterwürde geschildert. Da die Richterepoche ihr Ende finden und dein Königsthum Platz machen sollte, mußten die Attribute der ersteren abhanden kommen.

Es war eine außerordentliche Aufgabe, welche des Rabbiners harrte, der, gerade so wie sein -Gegner R. Elia Wilna, Reformator im vollsten Sinne des Wortes war. Denn trotz aller Abneigung gegend irgend welche Neuerung hat der Letztere eine durchgreifende Reform des Talmudstudiums durchgeführt und vollständig mit dem zu teuer Feit herrschenden Spsteme gebrochen.

Die gewaltigen Erschütterungen und Umwälzungen, welche sich in den äußeren, wie in den inneren Verhältnissen der Judenheit vollzogen, mußten un­aufhaltsam zu den mannigfachsten Aendeningen führen. Aber während die Re­former des Westens in ihrer kleinlichen Beschränktheit nur einem blinden! Zer­störungstriebe folgten, sich in den Dienst des assimilationssüchtigen Kaufmanns­standes und der die Assimilation begünstigenden Regierungen stellten, wußten die Führer des Ostens den im Laute der Zeit durch die Ungunst där Verhältnisse anaeietzten Roll von dem unverwüstlichen Metall zu entfernen und es mit einer scheinbar neuen, in Wirklichkeit den uralten Zuständen der jüdischen Geschichte entlehnten Schutzdecke zu versehen.

Der Schwerpunkt des iüdischen Geisteslebens war nach dem Westen ver­trat worden, seit die Katastrovhe von 1648 und die darauffolgenden Schweden- kineae den Wobsttand der Fnden und ihre Hochschulen in Polen vernichtet hatten. Alles strömte nach Deutschland. Holland und England an die von den berühm­testen polnischen Rabbinern neleiteten Hochschulen. Aber die dortigen Zustände waren schon lange als unhaltbar erkannt.

Schon im Jahre 1710 schlug der Ollacbam ^dvi, der berühmte Vater des Fabez. das ibm angebotene Londoner Rabbinat mit dem für die damaligen Verhältnisse ungeheuren Jabresaehalt von 1 000 Pfund Sterling (in Altona bekam er iechszia Tbaler fires Gehalts mit der Begründung aus, daß er seine Nach­kommenschaft nicht der Gefahr aussttzen könne, in den Sitten und Anschauungen der Westler' erzogen zu werden. Ebenso streng ist das Urtbeil seines Geschwister­kindes, des großen R. Naftali Coben-Zedek. über die damalige Berliner Gemeinde, deren religiösen Verfall er voraussieht. Alle diese in Deutschland fast vergötterten Männer zoaen es vor, ihre Kinder in das polnische Golus und Elend znrückzw- schicken, in bestimmter Voraussicht, daß sie iin Westen den Traditionen ihrer Väter die Treue nicht zu bewahren im Stande sein würden. Die svaniichen Marannen, die ihre großen Reichtbümer durch Generationen hindurch nicht batten- im Stiche lasten wallen, batten, nachdem es ihren Enkeln und Urenkeln gelungen war, als Scheinchristen sich den Folterkammern und Scheiterhaufen der Jnauisition zu ent­ziehen und endlich den durch Generationen abgewarteten Augenblick zu erhaschen, um den Weg aus der spanischen Hölle zu finden, in allen größeren Hafenstädten Ge­meinden gegründet, die eine Art Mestizen-Judenthum darstellten, das den Nähr-