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jeden Morgen, wenn die Rebbezin in die Küche kam, die Segensfprüche herzusagen, auf die sie mit „Amen" antworten mußte. Der vierte Spruch lautet: „Der mich nicht als Frau erschaffen hat". Einmal faßte sie, die Gelehrte, das als beleidigende Herausforderung auf und versetzte dem Segensprecher eine schallende Ohrfeige. Der lief nun zum Rabbiner mit bitterer Klage. Der Rabbiner, der nur äußerst selten in Zorn zu bringen war, gerieth diesmal darüber wirklich in Aufregung, ließ die Rabbinerin rufen, und sagte ihr: Glaube mir, der ärgste Locbor (Mannsperson) ist noch immer besser, als die beste Uietrerve (Frauensperson). Die Rabbinenn schwieg und beschloß, sich zu rächen. Der Rabbiner pflegte nun die ganze Woche Tag und Nacht im Bethamidräsch zuzubringen, meist fastend. Erst Freitag Abends kam er nach Hause und labte seinen gequälten Magen an einer guten Grippe aus schmackhafter Hennenbrühe. Am nächsten Freitagabend stand eine blaue Suppe auf dem Tische und ein steinharter Hahn. Er beachtete es nicht weiter. Am zweiten Sabbath ebenso. Er schwieg. Am dritten ward ihm die Sache zu bunt. Warum kochst Du keine Henne mehr, die giebt doch eine genießbare Suppe? Nun, 'Du.hast doch gesagt, der ärgste Socbor ist besser als die beste lTeümvab. Darauf antwortete der Rabbiner: Ich habe nur von lebendigen gesprochen, nach dem Tode ist die Uleüervab besser. Eine ähnliche Sentenz findet sich zwar in den Veda's: ich kann jedoch den Herren Kritikern von Fach versichern, daß der Liskoer Rabbiner die Veda's nicht einmal dein Namen nach gekannt hat.
Derartige Aeußerungen des unverwüstlichen Humors, welcher den Juden auch in den schwierigsten Lagen nicht verläßt, stimmen keineswegs zu dein furchtbaren Ernste der damals kurz vor dev Theilung Polens geradezu unleidlich gewordenen Verhältnisse. Man sengte, mordete, plünderte, pfählte und spießte an allen Ecken und Enden. Ganze Gemeinden, unter anderen das Städtchen Uman in der Ukraine, das im Jahre 1648 so heldenhafte Märtyrer geliefert hatte, erneuerte dies Phänomen nach kaum 70 Jahren unter den Händen der polirischen Haidamaken. Die Polen, welche zur Zeit der Größe ihres Staates den Juden gegenüber die weitgehendste Toleranz bewiesen, so lange ihre Könige es verstanden, sich den völkermordenden Klerikalismus vorn Halse zu halten, veranstalteten im Gefolge der Kontrereformation nunmehr Judenhehen und fabrizirten Ritualmorde nach Herzenslust. Nur die furchtbare Unordnung und der Mangel einer einheitlichen Regierung ließ die von der Inquisition geplanten Maßregeln immer nur vereinzelt zürn Ausbruche kommen. ' Als auf dem polnischen Reichstage von 1763 von einem gewissen Martinowicz die gänzliche Vertreibung der Juden aus Polen beantragt wurde, stand schon das Menetekel an der Wand, war die Theilung Polens bereits beschlossen. In unserer Klaus lernt ein kluger Junge, „Schefftel" heißt er, nach einem Ururgroßvater, der vor 180 Jahren mit noch sieben Einwohnern von Tarnobrzeg lDsikow t den Feuertod erlitt, in Folge Unterschiebung einer Kindeslciche behufs Konskatirung eines Ritualmordes. Dieses Tarnobrzeg gehört den Tarnowski's, einer jener Adelsfamilien, welche ihre zweideutige Haltung beim Untergange ihres Vaterlandes durch ein Uebermaß von Klerikalismus in Vergessenheit zu bringen trachten. Die Gräfin, eine jener Megären, wie sie jenes Zeitalter hervorbrachte, als Seitenstück zu der ungarischen dmclagcU, welche Hunderte von Kindern schlachten ließ, um ihr Blut als Schönheitsmittel zu gebrauchen, weidete sich an dem Anblicke der brennenden Juden.
Jener Schefftel, seines Handwerks ein Bäcker, war ein sehr korpulenter Mann. In einer bei solchen Exekutionen häufig konstatirten Anästhesie riß