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Der Chaßidismus : eine kulturgeschichtliche Studie / von Verus
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Deralte Sachs" hatte erst eine neue Verordnung erlassen, wonach jeder Jude am Sabbath als Schandzeichen die Kopfbedeckung mit dem Schweife eines unreinen Thieres verbrämen sollte. Man gab sich Rach, so gut man konnte. So enstand die Schabbesmütze, der Streimel aus kostbarein Pelzwerke. Der Balschemtow selbst trug noch das alte Barett auf demselben. Viele seiner Leute wouten sich nicht dazu entschließen, die Schasfellmütze mit dem neuen Abzeichen zu vertauschen. Das Städtchen Buczacz wußte sich unter der Herrschaft eines judenfreundlichen Grasen dieser Anordnung zu entziehen, sodaß durch Jahr­zehnte dort kein Streimel zu sehen war. Selbstverständlich durften die Juden die neue sogenannte französische Tracht, den kurzen Rock mit Kniehosen, weibischen Strümpfen und Schnallschuhen, nicht anlegen, und waren gezwungen, die alte Polnische Landestracht beizubehalten. So hat der Haß und die Unterdrückung wie immer nur dazu beigetragen, die für die Gesundung des jüdischen Volks­lebens so vortheilhaste Exklusivität zu verschärfen und eine Art orientalischer Nationaltracht zu schaffen, welche den Plänen des Chaßidismus förderlicher war, als alle Strafpredigten des snaro: D'vvu^cli, eine Schutzmauer, die das Ghetto überdauert hat.Unbewußt rächt er sich durch sein Wesen", hat ein feiner Beobachter von dem deutschen Assimilationsjuden gesagt. Soll das jüdische Wesen an sich ein Racheakt sein, so genießt der polnische Jude wenigstens diese Süßigkeit mit Bewußtsein. Die russische Regierung, welche unter Nikolaus I. mit Gewalt, unter Alexander II. nach europäischen: Muster, die Assimilation durchsetzen wollte, hat denn auch! eingesehen, daß der blinde Haß desalten Sachsen" ein schlechter Rathgeber war, und hat jedes mall mclluvslli, jüdische Abzeichen, wahrlich nicht aus Liebe für das Judenthum, wieder verboten. Aber die Nationaltracht war bereits so instinktiv eingewurzelt, daß auch in Rußland nur eine Veränderung, aber keine Aushebung erzielt wurde.

Das geistige und nationale Leben der Judenheft in: Osten hat inzwischen durch die heroischen Anstrengungen der Führer und durch eine in ihrer Unschein- barkeit äußerst kluge Neriorganisation eine Stärkung erfahren, die alle Angriffe des sogenannten Zeitgeistes abgeschlagen hat.

Dieser Zeitgeist hat ein eigenthümliches Janusgesicht. Er ist ein ,^rn- gusclli, ein Magier, dessen Definition im Talmud zwischen Nab und Samuel strittig ist. Der Eine nennt ihn Oiclub, einen Gotteslästerer, der andere nennt ihn Ebarascbi, einen Spiritisten. Die geschichtliche Entwickelung giebt Beiden Recht. Die Maske wechselt nach den Umständen. Dieses kleine, so unbedeutende Pünktchen im Universum, das man Judenthum nennt, dieses ^en3 invisuM äeis, den Göttern verhaßte Volk des Tacitus, ist zun: unbewußten Angriffsobjekt aller sogenannten Kulturirationen geworden. Es wirkte auf mich geradezu tragikomisch, auf einer Reise durch Frankreich die vornehmsten Kulturträger, französische Bauernsöhne aus dem llan^uelloc, die ii: ihren: Leber: keinen Juden gesehen haben, beim Umwickeln ihrer keineswegs aromatischen Fußlappen im Eisenbahncoupe gegen dieses, die Welt bedrohende Volk Wettern zu hören. Am Ende des 18. Jahrhunderts trat dieser Zeitgeist unter der Maske des Atheismus auf, der sich wie eine jener häufig beobachteten Gcistesepidemien mit der Macht des ihm psychochemisch verwandten religiöser: Wahnsinnes aus dem Giftboden des französischen Boudoirs über der: ganzen Westen verpflanzte, auf Königsthronen Adepten fand und, indem er alle bestehenden Religionen zu vertilgen versprach, bei den zweifelhaften Elementen des westlichen Ghettos aus einer Art Schaden­freude getvissermaßen als nothwendiges Uebel thörichte Vermittler fand, die sich fammt den Philistern unter dem einstürzenden Dagontempel begraben wollten. Schon der Frankfurter Verfasser des rfvli hafte sich veranlaßt gesehen.