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Der Chaßidismus : eine kulturgeschichtliche Studie / von Verus
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empfiehlt. Er wird als ein Mann von athletischer Körperkraft geschildert, der anher Thee überhaupt weder Speise noch Trank zu sich! nahm, in einem Leinen­kittel mit Strohgürtel einherging und die Adligen, die mit raffinirter Grausam­keit in einem-jeder wirklichen Obrigkeit baaren Lande die vogelfreien Juden drang- ialirten, ganz so wie sein Kollege der yemenischen Sage zu menschlichen Rück­sichten gebracht hat.

Als im Jahre 1774 ein Bauer auf Anstiftung der bekannten Maffia sein zweijähriges Töchterchen furchtbar verstümmelte und es todtgeglaubt in die Stallkrippe eines jüdischen Arendars uiederlegte, wo es von der aus der Stadt herbeigerrifcnen Kommission gefunden wurde, war R. Leb zur Stelle, und als, zum Erstaunen derselben, das todtgeglaubte Opfer religiösen Wahn­sinnes seinen Vater als dm Mörder bezeichnete, wurde die Angelegenheit nach Rom berichtet und als an das Wunderbare grenzend von Papst Clemens XIV. in einer (in der Oeft. Wochenschr.) zitirten Bulle zum Anlaß eines Edikts gegen die Blutbeschuldigung genommen.

Auch eine Humoreske knüpft sich an seinen Sagenkreis. Einmal kam er um Mitternacht in ein ungarisches Dorf bei Kalewa zu dem jüdischen Arendar und befahl ihm, in das Schloß zu gehen, den Grafen zu Wecken, den er vor dem Thore erwartete. Der Graf war ein Wütherich, nach Art der Nadasda. Als ihm der Arendar entgegnete, daß ihn der Graf ohne Weiteres erschießen würde, beruhigte er ihn und sicherte ihn: eine Lebensdauer Von 120 Jahren zu. Da es gegenüber seinem Wesen keinen Einspruch gab. so voll­führte jener den Auftrag, welchem der Graf zitternd folgte. So erzählt die Sage. Der Arendar hatte inr Alter von 114 Jahren einen Sohn von 80 Jahren, der Wittwer geworden war und. ohne den Vater zu fragen, wieder ein armes Mädchen geehekicht hatte. Als der Alte dies erfuhr, versetzte er ihm eine Ohrfeige.In Deinem Alter beirathen und Kinder bekommen, die nach Deinem Tode Niemand Andrem zur Last fallen werden, als mir?"

Auf dem Todtenbette war die letzte Aeußernng des R. Leb Sores:

Der Nogin ^.evrollom (R. Abele Kalischer) war der emiueoser Oaon (der ivirkliche Gelehrte), der ennnesser dlellüdel (Kabbalist), der einme58er Damit hauchte er seine Seele aus.

Eine ähnliche Erscheinung war R. Leb von Spala, der unter dem NamenSpaler Sede" (Alter, Großvater) im Volksmunde lebt. Ebenso an­spruchslos wie sein Vorgänger und ebenso räthfelhaft und sagenumsponnen.

Hervorgeihan hat er sich besonders durch sein Auftreten gegen einen Ur­enkel des Balfchemtow, R. Nachmau, welcher, von einer Reise nach Palästina zmückgekehrt, eine ganze Serie kabbalistischer Schriften verfaßte, die nach dem Ausspruche des Alten, trotz ihrer scheinbaren Unverfänglichkeit und Frömmigkeit, durchaus gefährlich fein sollten. Dieselben sind mit einem großen Aufwande von Geiü und phantastischem Esprit geschrieben, um die Kabbala auf eine Art zu Populansiren und die kleinsten Funktionen des Alltagslebens in mystischer Be­leuchtung berzustellen, die inr schroffsten Gegensatz zu der bereits zitirten Tendenz der hervorragendsten damaligen Führer (f. oben Einleitung des Edegsell i' olnallaml stM, den Einfluß der.Kabbala so weit als möglich auf das richtige Maß zu beschränken und sie der einfachen Glaubenslehre, den wahren Schlacht­reihen Israels, den dreizehn Glaubensartikeln, unterzuordnen. Diesen sichren Kompaß auf dem stürmischen Meere der Phantasie, diese feite Leitung zu stören und zu verwirren, war die Romantik jener Schriften nur allzusehr geeignet. Außerdem hatte den Verfasser einen Personenkultus eingeführt, indem er für sein