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Der Chaßidismus : eine kulturgeschichtliche Studie / von Verus
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Ein weit gefährlicherer Gegner erwuchs ihnen in der Person des Prager Rabbiners R. Jecheskel Landau, dessen Autorität weit unantastbarer dastand. In einem Responsum, ob die vom Ari eingeführte Formel, durch welche man vor Ausführung eines jeden Gebotes sich durch einen Ausspruch, daß man dies und das Gebot zu Ehren G. und Seiner Majestät vorzunehmen gedenke, in der Halacha begründet sei, führt er Beweise aus dem Talmuh für die Ueber- flüssigkeit derselben an. Diese Beweise sind von einem Schüler des R. Dowber, R. Ehaim Czernowitzer, im Lebaar IlateüIIab aus der Halacha glänzend wider­legt worden. Der llocw dijekucla greift aber den Chaßidismus bei der Wurzel an,, indem er dem Ari die nöthige Autorität abspricht und sich auf die Autorität des alten, berühmten Kabbalisten R. Elasar Rokeach aus Worms beruft, dessen Festsetzung von Bußen für die verschiedenen Sünden durchaus von denen des Ari abweichen. Wenn demnach die des Rokeach als Ueberlieferung zu gelten haben, so könne unmöglich die des Ari als Ueberlieferung dagegen bestehen. Wie schon Azulai, ohne Namen zu nennen, nachgewiesen hat, beruht diese Behauptung auf einer Verkennung des Wesens der Kabbala, bei welcher -es sich während der Kata­strophenzeit des Golus! keineswegs um eine ununterbrochene Kette von Ueber- lieserung von Lehrer zu Schüler handelt, sondern um lebendige Ueberlieferung von oben, die für solche Aufgaben, je nach dem Stande der Welt, ebenso wechselt, inte etwa die Behandlung der Krankheiten mit wechselnden Lebens-bedingungen, ohne daß dabei an der Unabänderlichkeit der organischen Bildungen und ihrer Naturgesetze gerüttelt wird. Er streift da das schwierige Problem von der Frei­heit in der Gesetzmäßigkeit, des Fortschrittes in der Unabänderlichkeit, das der profanen Forschung nicht mindere Schwierigkeiten bereitet. Der enge Gesichts­kreis des vorwiegend juristisch veranlagten Gelehrten läßt ihn, gerade so wie seinen Antipoden, den Reformer, übersehen, daß die Geschichte des Judenthums eine fortlaufende Kette formvollendeter Entwickelung innerhalb der Grenzen einer bestimmten, dieselbe aber keineswegs behindernden Stabilität bildet von den Erz­vätern bis. zur Thora, von Josua über die Richter bis! zu dem neu aufflammenden Propheten Samuel und seiner Schule, von dem Psalmisten bis zu den alten Propheten Achija, Elia, Elischa, bis zu den späteren Jesaia, Jeremia und Ezechiel. Welcher Reichthum des Formenwechsels und welcher Gegensatz in dem Austreten dergroßen, Versammlung" (L'nesset bag'äolab) bis zu Mischnah-, Talmud und Gaonim, unter denen R. Saadia Gaon durch Verwendung der Philosophie eine ganz neue, durch Jahrhunderte in ibn Gabirol, Jehuda Halevi, Maimonides wirkende Geistesrichtung schasst, die durch das Hervortreten der Kabbalisten ab­gelöst wird und im Ari eine ungeahnte.Höhe erreicht, ohne daß das Gerüst des Organismus dadurch eine Veränderung erleidet! Ebensowenig wie etwa die un­geahnten Fortschritte der modernen Technik die Stabilität des menschlichen Or­ganismus irgendwie wesentlich zu beeinflussen- vermochten. Der Versuch, an der Autorität des Ari zu rütteln, vor welcher sich die Säulen der Gesetzgebung, der llaeb (N"2), Klagen Nbrabain, Iure Labab und die tonangebenden Genies ersten Ranges unter Sephardjm und Aschkenasim bei ihrem überwältigenden Eindrücke gebeugt hatten, das Bestreben, die Geistesrichtung um Jahrhunderte zurück auf die Zeiten des deutschen Mittelalters im fünfzehnten Jahrhundert zu­rückzuschrauben, war jedenfalls vollständig verfehlt.

Um eben das zu erreichen, was dem blocka bijebuäa vorschwebte, be­durfte es einer ganz andren Taktik, über welche zu jener Zeit nur die großen Führer der Chaßidim verfügten. Der Prager Rabbiner beklagt sich über die Gefahren, welche in der Front von dem nihilistischen Epikuräer (Gottesleugner), im Rücken von dem idealistischen Seher drohen, und schließt mit den Worten: