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Der Chaßidismus : eine kulturgeschichtliche Studie / von Verus
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gerügt worden war. Er sagt ihm also: Illsloime ich kann sich nit soagen disloime (eig. bisellloime) soag ich sich disloiine. Du kannst sich doch joa soagen bisloirne, sor woas foagst du bisloinre?

Außer der Sprache besteht aber auch in der geistigen Veranlagung ein ganz bedeutender Unterschied zwischen den beiden Stämmen, wenn man sie so nennen darf. Der Littauer verfügt über ein fabelhaftes Gedächtniß, dessen Schreibapparat den Psychologen in Verblüffung bringt. Damit ist eine eiserne Ausdauer verbunden und eine durch die Armuth und Rauheit des Landes ent­wickelte Bedürfnißlosigkeit, die erste Förderin des Studiums. Ulenus venter non stucket lidenter. Der Manische Bachur ißt die ganze Woche nicht so viel mal, wie der deutsche Student in einem Tage.

Diese Vorzüge haben aber auch entsprechende Schattenseiten. Die ein­seitige Entwickelung des Gedächtnisses geschieht auf Kosten des inneren, von einer verfeinerten Phantasie getragenen Scharfsinnes und der Gedankentiefe, die ein­seitige Absorbtion aller Seelenkräfte durch das Bücherstudium auf Kosten des Gefühles und der unbehinderten Denkfreiheit. Dem Heroismus der Tugend, wenn geistige Beschäftigung an sich mit Tugend identisch ist, entspricht beim Umschlagen ein Heroismus des Lasters.

Unter der Suggestion des Buches, welches alle zu besonders angestrengter Thättgkeit nothwendigen Triebe des Ich vervielfältigt, geht die Unabhängigkeit des Geistes, die Seelenruhe verloren, und wenn entgegengesetzte Strömungen anti­religiöser Systeme den Bücherwurm gefangen nehmen, so kennt sein ausgeprägter Egoismus keinerlei Schranken des Herzens, des Gefühles und der Ueberzeugung. Daher die unvermittelten Sprünge von asketischer Frömmigkeit zum krassesten Nihilismus. Daher der leider so häufige Glaubenswechsel. Es sollen dabei auch historische Gründe mitspielen. Littauen war bis vor etwa 400 Jahren urheidnisch. Es gab daher eine Menge Proselhten, denen in Polen durch das Christenthum der Weg zum Judenthum verlegt und überflüssig gemacht war. Ich habe irgendwo ein altes polnisches Gemeindengesetz gefehen, wonach jeder Ankömm­ling aus Littauen einen Beweis seiner jüdischen Abstammung bringen mußte. Namentlich sollen sich mit den Tataren viele Ueberreste von Chazaren in Littauen niedergelafsen haben, so daß der große Sprachforscher Graetz den Kosenamen Uonje Llla^ar (Tatarennase) auf diese Etymologie zurückführt. Thatsache ist, daß bei der Einwanderung der deutschen Juden große Karäergemeinden bestanden, welche von Seiten des Königs der Botmäßigkeit des ersten Rabbiners von Polen, R. Michal Lurje (1470), unterworfen waren. Nach der Ansicht seines großen Spätenkels R. Mose Jsferles sind aber gerade die Karaiten ein gesetzlich von der Aufnahme in's Judenthum auszuschließendes und selbst als Proselhten nicht zulässiges Element. Sei dem, wie ihm wolle. Der große Lehrer R. Jsak Horowitz von Lublin, das Oberhaupt der Chaßidim seiner Zeit, hat das richtige Urtheil gefällt, indem er sagte, der Talmudsatz in Horajoth:2V 2V

'X finde heutzutage seine volle Anwendung auf den Litwok. Ein versöhnlicher und dem Prinzip der jüdischen Nächstenliebe und zugleich der recht nackten Wahrheit entsprechenderes Verdikt ist noch nicht gefällt worden. Unter den zahlreichen Kuriosis dieser Gattung, die uns die vorigen Jahr­hunderte überliefert haben, sei nur das eine erwähnt, daß ein gewisser Schück, der in Hamburg durch 16 Jahre als Klausner fungirte, beim Erscheinen der Kosaken anno 1814 in der den Franzosen abgenommenen Hansestadt, in die Sotnie ein­trat und als Kosak aus und davon ging: Der Antagonismus zwischen polnischen und Manischen Juden beraubte somit die Angriffe der letzteren ebenso ihrer Wucht, wie die der Deutschen.