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Der Chaßidismus : eine kulturgeschichtliche Studie / von Verus
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Eine Ausdehnung der Organisation auf Littauen schien nicht einmal erwünscht. Denn die guten Elemente mit ihrem unvergleichlichen Eifer im Thorastudium hatten dieselbe nicht nöthig. Sie sollten nicht einmal in ihrem Wirken gestört werden, da sie für die Nahrung des geistigen Organismus der Nation ungefähr dieselbe Rolle spielen, wie im Haushalt der Natur der Wald, von dessen Gedeihen die Fruchtbarkeit der Ackerkrume abhängt. Die schlechten Elemente hingegen wären eine wirkliche Gefahr für eine Organisation gewesen, die ihr Hauptaugenmerk auf tiefe, philosophische Forschung und schwärmerische Entwickelung des religiösen Gefühles gerichtet hat, demgemäß einer fort­währenden strengen Kontrole gegen Ausartung und Extravaganzen zu unter­werfen war.

Man erzählt, es fei dem Balschemtow mitgetheilt worden, daß er die' religiöse Vorschrift der Bedienung von Gelehrten (Lcbimmuscll Dalmicke Ekacbornim) noch nicht vollständig erfüllt habe, und man zeigte ihm den 8.clmaZn8 Xrje, R. Löb, der damals, von Minsk wegen seines Zwistes mit R. Jechiel Lurje, dem Verfasser des Lecker Hackorot, unstät als Bettler verkleidet umherirrte, als den richtigen llalmick Lbocborn der Generation. Er verfügte sich daher zu ihm und wußte es so einzurichten, daß er ihm die Schuhe anzog, um damit die Mizwah erfüllt zu haben. Dieser Gelehrte überragte um ein Be­trächtliches seine Zeitgenossen, deren Aufwand an Scharfsinn ihm so kleinlich erschien, daß er, wie er in seiner Vorrede schreibt, seine eigenen Dissertationen aus früherer Zeit sammt und sonders verbrannte, weil AllesLuft" sei. Er ging aber noch weiter, indem er, was Entscheidungen der Halacha betraf, die ganze nachtalmudische Litteratur nur insofern in Betracht nahm, als sie mit seinen eigenen direkten Deduktionen aus dem Talmud stimmte. Dafür war er aber auch, wie R. Elia Wilner bezeugte, im Stande, wenn er einen Beweis brauchte, in einer Stunde das ganze ungeheure Gebiet des Talmud im Gedächtniß zu durchqueren. Er starb zu Metz im Alter von 97 Jahren in Folge eines Unfalles, da sein großer Bücherschrank umfiel und ihn zudeckte, so daß er eine halbe Stunde darunter liegen blieb, bis es bemerkt wurde. Als man ihn aus der Lage befreite, sagte er auf hebräisch, daß alle Ickeclmdrim (Verfasser) sich über ihn genommen hätten, weil er ihre Werke ignorirte, wenn er in Widerspruch mit ihren Aussprüchen gerieth. Während der halben Stunde habe er sich mit Allen be­friedigend auseinandergesetzt; nur Halveuoeb bara^on kaseb, der Lewusch (R. Mordechai Jaffe), der Unversöhnliche, habe ihm nicht verzeihen wollen, so daß er das Zeitliche segnen müsse.

'Er war es, der den Gaon als siebenjährigen Knaben aus die Hand nahm und feine Größe pries, doch sagte der Gaon später von ihm:In bli^la

(talmudischem Wissen) ist Er, dann ich, in lUstar (Kabbala) bin ich, dann Er." 8clma§a5 ^.rje war demnach auch Kabbalist und seiner Bedeutung entsprechend, aber er haßte die Vielseitigkeit, behielt die Mystik für sich und blieb NNX, der Mann einer einzigen Arbeit, der Halacha. Der Gaon hingegen war Eklektiker, der alle Zweige der so überaus fruchtbaren jüdischen Litteratur und, soweit die profanen Wissenschaften in hebräischer Sprache in den Bereich der­selben gezogen waren, auch diese mit gleichem Eifer betrieb. Der Gaon war ein Wunderkind, der ohne eigentlichen Lehrer und ohne den gewöhnlichen Ent­wicklungsgang durchzumachen, zu sieben Jahren schon den ganzen Talmud beherrschte. Derart überraschende, die Naturgesetze durchbrechende Erscheinungen sind auch auf außerirdischem Gebiete beobachtet worden, aber es haftet ihnen eine gewisse Abnormität an. Wir finden im jerusalemischen Talmud den Amoräer Samuel von Nehardea als Wunderkind im zartesten Kindesalter. Dafür wurde