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Der Chaßidismus : eine kulturgeschichtliche Studie / von Verus
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gerade dieser so bedeutende Mann nicht mit der Lemtclm, der Ordination mit dem Titel Rabbi, versehen, mit welcher auch der 806 lmiddur, die Kalender­berechnung, verbunden war, und so groß auch seine Kenntnisse in der damaligen Himmelskunde waren, so blieb seine Berechnung doch hinter der des R. Ada zurück, welcher in die Ueberlieserung eingeweiht worden war. Man muß nun freilich bei Beurtheilung so großer Männer, die vielleicht einmal durch viele Jahrhunderte, den großen Eroberern gleich, als Meteore am Himmel auf­tauchen, sich mit soviel Bescheidenheit als möglich wappnen. Es giebt da zwei Extreme: den Personenkultus, den der faszinirende Eindruck der Großen bei allem Volke jeder Nationalität Hervorrust, und die Geringschätzung, welche der blasirten Selbstüberhebung des Halblaien jeden Maßstab für wirkliche Größe benimmt. Es giebt da einen Polen, der in seiner Vaterstadt mit Nothdurft als mittelmäßiger Melammed galt und durch eine Verkettung von Glück und Dummheit eines großen Gemeinwesens Heerdeverwalter geworden, ist. Der gute Mann äußerte sich über den Gaon:Es ist schade, daß er seine Erziehung bei den Kosaken genossen hat; bei mir wäre etwas aus ihm geworden." Man kann den Mann nur bedauern, daß an ihm das Wort aus den Sprüchen der Väter so streng in Erfüllung gegangen ist, der Umgang mit dem ungebildeten Volke bringt den Menschen um die Welt; d. h., es macht ihn in seinem Größenwahn unzurechnungsfähig. Der berühmte Rabbiner der drei Gemeinden Hamburg, Altona und Wandsbcck R. Raphael Cohn (geb. 24. Marcheschwan 64831722), der dem Gaon wahrlich nicht nachstand, so daß auch bei ihm der gewöhnliche Maß- stab versagt, empfing im Alter von 80 Jahren, als er bereits erblindet war, den Be­such seines jüngsten Bruders, eines lithauischen Rabbiners. Es kam dabei die Rede auf den Gaon, wobei der ganze Körper des Greises in Aufregung gerietst Er fragte ihn verwundert:Womit ist der Gaon denn Anderen so überlegen, daß Du so viel Wesens aus ihm machst?" Darauf antwortete der ehrwürdige Greis: Nimm aus dem ersten Fach des Bücherschranks das erste Buch, dann wirst Du sehen, was er gekannt hat." Dieses Buch war ein gewöhnliches D'rmcll (Bibel). Siehst Du", sprach er,das hat er gekannt, das will sagen, daß er verstanden hat, den ganzen Talmud und die ganze rabbmische Litteratur in diesem D'rmcb zu finden." Er ähnelt in dieser Beziehung dem Or lllactmsiin, der in seiner Vorrede sich rühmt, daß er sein ganzes (ungeheures) talmudisches Wissen direkt aus der Thora schöpft, wie der Lcll'IoIr diese ideale Vereinigung von Dora scllebilc 8 arv (schriftlicher) mit Dora sclledealpeb (mündlicher Lehre), als den ursprünglichen normalen, erst durch die Zerrüttung in Trennung gebrachten Zustand, betrachtet wissen will. Wir begeben uns damit in eine höhere Atmo­sphäre, in ein Gebiet, von welchem der Talmud sagt:An den Ort, wo Funken sprühen und Feuergarben fliehen, wer bringt den Schmiedgesellen dorthin?" (svn^ xns: -Q inro.)

Aber, so wenig wie der winzige Astronom in der kurzen Spanne Zeit, die ihm die menschliche Lebensdauer bescheidet, es sich nehmen läßt, den Sonnen- Lall zu messen und an den Sonnenflecken dessen Rotation zu bestimmen, ebenso­wenig dürfen die Kleinen mit ihren rußgeschwärzten Gläsern es sich nehmen lassen, die großen Leuchten am Geisteshimmel aus ihre Größe uud ihren Wirkungs­kreis zu prüfen.

Die Größe dieses außerordentlichen Mannes ist auch von den von ihm angegriffenen Zeitgenossen anerkannt worden. Es mag sein, daß, wie der zweite Balschemtow, R. Israel Koziniecer gesagt hat, alle Gelehrten seiner Generation sich gegen ihn ausnehmen, wie die Feldblumen.