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SaIo in onMai in o n (1711—1790). Zwischen Engel und Dämon liegt ein himmelweiter Unterschied, aber in dem so beschränkten Raume des Bildes, das uns der Mikrokosmos „Mensch" als Vereinigung sämmtlicher individuellen Arten des Universums bietet, rücken sie hart an einander. Wir haben es bei Salomo:: Maimon mit einer unheimlichen, dämonischen Erscheinung zu thun, die gleichwohl das Interesse des Psychologen wie des Ethnologen eher fesselt, als die des größten jüdischen Thoragelehrten und uns hier als Zeitgenosse des großen Organisators des Chassidismus beschäftigen soll, da derselbe als einziger unparteiischer Augenzeuge Berichte hinterlassen hat, deren sich eine leichtfertige, oberflächliche und feindselige Geschichtsschreibung als Unterlage bedient.
Maimon, ein ebenfalls als Wunderkind, aber als Sohn eines Dorf- schänkers aus den niedrigsten Kreisen Littauens geborener Vagabund, hatte sich schon als 11 jähriger Knabe einen Ruf als Athlet in der geistigen Turnschule des Talmud gesichert. Sein geradezu unheimlicher Scharfsinn ließ ihn die jüdisch-spanische Philosophie spielend bewältigen, die Schriften Delmedigo's (ja5clmr) machten ihn in der höheren Mathematik heimisch, das in Wilna so geläufige Studium der Kabbala befähigte ihn zu den unverständlichsten mystischen Konzeptionen, die den Kern der modernen sogenannten philosophischen Systeme bilden, und als seinem unsteten Geiste die Beschäftigung als Dorfmelammed nicht mehr zusagte, trieb es ihn nach Deutschland, der Witterung des neuen Zeitgeistes entgegen. In zerlumptem Kaftan, mit dein schauderhaften tiefrussischen Jargondialect, den der Littauer niemals abstreifen lernt, fand er- Eingang- in den Hörsaal Kestncrs, des berühmten Königsberger Lehrers der höheren Mathematik. Derselbe definirte, wie Dr. Kleinpaul erzählte, an der Tafel einen schwierigen Lehrsatz und forderte seine Hörer auf, die Definition zu wiederholen. Kein einziger hatte ihn verstanden, mit Ausnahme des littauischen Talmudisten, der sofoä in seiner nur dem Mathematiker verständlichen Manier den Beweis an die Tafel zeichnete. Später zollte Goethe der Tiefe seines Geistes Anerkennung und Kant, dein M.'s philosophische Dissertationen zu Gesichte kamen, sagte über ihn, daß cs nur Wenige gäbe, die mit gleichen: Scharfsinn und gleicher Tiefe die Probleme der Philosophie zu behandeln wüßten. Im hohen Alter hat Kant freilich Anstoß daran genommen, daß seinem neuen System, welches das Gebäude der Alten in die Luft gesprengt hatte, in diesem hergelaufenen Judenjüngling ein Kritiker erwachsen war, den ebenso unbarmherzig, die Schwächer: des neuen Systems ausdecken und damit den Anstoß zum Aufbau neuer „Spinngewebe" geben konnte, unter welcher Bezeichnung Kant die alten Systeme klassifizirt hatte. Da Kant infolge der Abnahme seiner .Kräfte zu einer gehörigen Abwehr nicht mehr fähig war, hat jener Umstand zu einer Verbitterung in antisemitischem Sinne den Anstoß gegeben. Von Mendelssohn unterstützt, von dessen Schülern, denen alles andere näher lag, als Liebe und Verständnis; für Philosophie verlassen, von den Orthodoxen wegen seines cyuischen Lebenswandels ausgestoßen, starb M. im 16. Lebensjahre vor Hunger, nachdem er den unter dem Titel 7N1ON bekannten klassische:: Kommentar zun: Moreh Nebuchin: hinter- lasseu, den ersten, der dieses Meisterwerk von: Standpunkte der modernen Philosophie behandelt. Eine abschreckende Illustration des Talmudwortes: N21 N1QN llO „wenn er kein moralisches Glück hat, wird es (das
Studium) ihn: zum tödtlichen Gifte."
Wenn ich das llrthcil dieses Cynikers hier heranziehe, so geschieht dies einmal, um nachzuweisen, wie sehr dasselbe, nachdem es von Graetz zur Grund-