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Man hätte glauben sollen, daß dieser Streit längst gegenstandslos geworden, seit die strenge Verpönung der leisesten anthropoinorphen Vorstellung von Maiinonides zur Halacha erhoben, von der höchsten Autorität auf dein Gebiete des Talmud wie der Kabbala, dem ebenbürtigen Gegner des Maimonides, vom Rabed, im Prinzip anerkannt und als Entschnldigungsgrnnd, daß man die Irrenden nicht Ketzer nennen könne, der Umstand angegeben worden war, daß ihnen in den: Wortlaute der Agada Gelegenheit zu unverschuldetem Jrrthum gegeben sei. Aber je mehr sich das juristische und rituale Talmudstudium von aller Religionsphilosophie und Mystik entfernte, desto gleichgültiger wurde es gegen die logischen Konsequenzen und Dissonanzen des Wortlautes der Agada, und umgekehrt je mehr sich die Kabbalisten in die theosophische Erkenntniß, als die Seele der Thora, versenkten, desto strenger und geläuterter wurde die weitgehendste transcendentale Anschauung. Ein Nollenwechsel der Extreme, der auf unwandelbaren Gesetzen beruht. Es handelte sich um nichts Geringeres als um das Wesen und den Kern des Judenthums, die Reinheit der Gotteserkenntniß, und wenn cs als Fluch des Golus empfunden wurde, daß Uneinigkeit aus dem Gebiete der Halacha herrschte, so war das ohne Bedeutung gegen die Thatsache, daß in diesen wesentlichsten Punkten eine Zeit lang eine Spaltung in zwei Lager entstehen konnte.
Der lebendige Instinkt der Volksseele, im Feuer der Scheiterhaufen geläutert, hatte den Streit längst zu Gunsten des Maimonides und seiner 13 Glaubensartikel entschieden und es dem Chaßidismus Vorbehalten, diese Entscheidung litterarisch auf dem Gebiete der Agada und Kabbala dnrchznführen, wie dies der Sohn des R. Dowber, R. Abraham Hamalach, in seinein Qresseä l'abrabaru endgültig entschieden hat. Ebenso ist das Lelür ÜLjicüucl die Perle der religiösen Andacht geblieben, besonders für die Nacht des. Versöhnungstagcs, die den gemeinen Mann in die Sphäre der Engel erhebt, hoch über die Studir- stube des Gelehrten.
Wie hoch der Chaßidismus da iiber seinen Gegnern steht, soll Folgendes beweisen.
R. Mose Taku schreibt (S. 81): „Es giebt ein Gedicht, das man Lcbir / lünjicbull nennt, und ich hörte, daß R. Bezalel es ans dem Werke des R. Saadia / lüaemuuolb zum Theil verfaßt habe — denn von dem Verse 60, Tag 4. an hat es R. Samuel (Vater des R. Juda Chaßid, dessen Initialen sich in diesem Verse finden) verfaßt. Da heißt es: Alle sind in Dir und Du bin in Allen,
Du umgiebst Alles und erfüllst das All, und so lange das All eriskirt, bist Du in Allem, und bevor das All eristirte, warst Du, und als das All ward, erfülltest Du das All. Folglich muß man sagen, daß wenn es darin heißt: Als Richter ; sitzt Er aus grauester Vorzeit, und Seine Heerschaaren sind auf der Rechten und Linken, so sei das nur figürlich als erschaffene Vor-stellung (für die Propheten) zu nehmen, und das ist die Blasphemie." Dazu bemerkt die Note im O-mr uecbumcl: „Ich habe von H. Senior Sachs gehört, daß der Gaon R. Elia Wilnaer das Absagen des Scbir Hajicbucl in seinein Bethause verboten hat, weil nach seiner Ansicht der Verfasser „NclmI geheißen hat - seine Initialen finden
sich am Ende des dritten Tages." — Die Quelle ist viel zu trüb, um dafür zu genügen, einem Manne, wie dem Gao», eine solche Albernheit unterzuschieben.
Die Thatsache des Verbotes mag ja. obwohl unerfreulich, wahr sein, aber die Begründung kann nicht iiber seine Lippen gekommen sein. Denn 1l kann der Verfasser ganz ruhig „Michael" geheißen haben, das wäre kein Verbrechen;
2) wird „Michael" mit ' geschrieben, und der Verfasser beherrscht die Sprache