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Der Chaßidismus : eine kulturgeschichtliche Studie / von Verus
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keit des Philisters mit dem Spitzworte hänselt:Frömmigkeit ist ein Gewand, dessen Oberzeug Arroganz, dessen Unterzeug Bosheit, dessen Nähte Trübsinn sind", warnt der Raw vor dem lustigen llebermuth und setzt die essentielle Frömmigkeit, den unveränderlichen Ernst an seine Stelle. Sein Meisterwerk Tanja bietet im Lapidarstil eine unerschöpfliche Fundgrube seiner Lehren, den Schlußstein der Kabbala, ebenso wie sein Lebulclmn p^rueb den der Halacha. < Doch giebt es auch an diesem Sonnenball Flecken, namentlich wenn er in ß 26 ganz im Sinne seines Gegners, des R. Chaim Wolozyn ^"1, die mindeste Abschweifung des Juden von der Andacht, dem 711>1"2D unter den Stand des niedrigsten Geschöpfes hinabdrückt, das in unbewußten: Rückschluß an eine endlose Kette des Seins immer höherer Organisationen diesen Anschluß niemals verliert. Ein Lehrsatz, der als nicht glücklich aus Mangel an 71128 71121 kritisirt worden ist.

Durch die Verfolgungen der Misnagdim unter Kaiser Paul I. als Messias der Juden wegen aufrührerischer Umtriebe denunzirt, wurde der Raw 2 Jahre lang in der Peterpaulsfestung internirt. Fürst Adam Czartoryski. der Besitzer der Stadt Korec, der das Imprimatur für die dortige Druckerei und die von R. Sa­lomo Sokal, dem Famulus des R. Dowber, gedruckten alten Kabbalaschriftcn zu ertheilen hatte und durch Neugier, wie seinen Hang zum Mvsticismus, die Kabbala kennen gelernt und die Wunderrabbis liebgewonnen hatte, verwendete sich bei dem neuen Kaiser Alexander I., seinen: ebenso mystisch veranlagten Jugendge­spielen, der den Raw kennen wollte und ai: den: geistreichen Manne so großes Wohlgefallen fand, daß er ihn aus der Haft in Gnaden befreite. Am 18. Kislew, als der Raw gerade den Psalmvers 65,19 betete:Er hat in Frieden

ineine Seele erlöst, daß sie nur nicht nahen, dein: in Massci: gingen sie gegen mich vor", öffneten sich die Thüren seines Kerkers. Der Tag wird noch heute von den Chabad festlich gefeiert.

Bei der französischen Invasion, in welcher der Naiv den Einzug des fran­zösischen Atheismus sah und mit Aufopferung für die Verproviantirung der Russen sorgen ließ, mußte er mit den: russischen Hauptquartier flüchten und hauchte in einem entlegenen russische,: Dorfe als hochbetagter Greis in einer russischen Hütte seine Seele am 24. Tebet 6613 (Ende Dezember 1812) aus, umgeben von seinen Getreuen.

Während seiner 40jährigen Lehrthätigkeit war sein Anhang ans 100 000 Köpfe gestiegen, die von Witebsk bis Odessa und Galacz in Schaaren herbei­strömten, um seine Weisheit zu hören.

Aus welchen: Material diese Leute geschnitzt waren, lehrt eine Episode aus dem Kriege, die Bismarck einmal gesprächsweise erwähnt hat, ohne Namen zu nennen : Es wurde einmal von: russischen Hauptquartier dem Raw der Auf­trag zu Theil, einen verläßlichen Kundschafter zu stellen, für dessen Verläßlichkeit er bürgen könne. Die traurige Kriegsmoral macht aus den: Morde keine ge- gingere Tugend als ans der Spionage, von der das Wohl und Wehe des Vater­landes oft weit abhängiger ist, als von der Tapferkeit des Soldaten und der Tüchtigkeit des Feldherrn. Der Raw durste nicht zögern und berief einen Chabad, den Holzhändlcr Moses Magsels, der nicht nur ein philosophisch, sondern auch praktisch geschulter eiserner Kopf war und in: Verkehre mit den Franzosen sich deren Sprache schnell anzueignen befähigt war: Diesem fiel die halsbrecherische Aufgabe zu, sich in: Dienste der russischen Regierung bei Napoleon als Spion zu verdingen. Eine Kunst der Kriegslist, gegen welche die der Diplomaten, an deren Moral Wohl Niemand zweifelt, als Kinderspiel erscheint. Er führte, wie mir Augenzeugen versicherten, die den Mann persönlich gekannt haben, seine Aufgabe