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glücklich durch. Doch entrann er der Füsillade nur mit genauer Noth. Er kam nämlich eines Abends mit einer wichstgen Botschaft und wurde zu Napoleon in's Zelt geführt. Derselbe lag am Fußboden über eine Karte ausgestrcckt, die mit blauen und gelben Stecknadeln besäet war. In deren Studium versunken, ließ er den Juden am Eingänge stehen, der mit scharfein Auge den Sitnationsplan überblickte. Eine Linie, die der Kaiser aufsteckte, wollte er seinem Gedächtnisse einprägen, und um dieselbe festzuhalten, ritzte er ein Zeichen mit seinem Daumennagel in den Bleiknopf seines Stockes. So unauffällig die Bewegung war, sie entging dem Falkenauge des großen Corsen nicht.
Napoleon sprang plötzlich auf, eilte auf den an der Thür Stehenden zu und legte ihm die Hand auf's Herz. Der Chabad, dessen Kopf gewohnt war, das Herz vollständig zu beherrschen, blieb ruhig wie eine Bildsäule. Mit seinem durchdringenden Blicke, der Fürsten erzittern machte, sprach Napoleon: „Du Verdienst erschossen zu werden; aber es ist schade um so einen Kerl! Geh' und komm' nie wieder!"
Die Familie des Raw erhielt nach seinem Ableben die Lelopotomslnvo, soviel wie das Ehrenbürgerrccht. Die Gegensätze ztvischen Chaßidim und Mis- nagdim waren schon bei seinen Lebzeiten gemildert, da der versöhnliche und milde Nachfolger des Gaon, R. Chaim in Wolozyn, die Grundlosigkeit der Verleumdungen und die Zwecklosigkeit des Kampfes einsah, der die ohnedies unerschütterliche Stellung des Gegners nur zu befestigen geeignet war.
Die Paläftinafahrer.
Der Raw war als einer der jüngsten Schüler des R. Dowber gleichzeitig in der Kabbala der Schüler dessen jugendlichen Sohnes R. Abraham und eines seiner älteren Schüler, des R. Mendel Witebsker, von welchem der Raw sagte, daß er zu den vier Antiquitäten im Kabinete seines Lehrers — R. Ahron Karliner als Wunder von Liebe, R. Süsche als Wunder in der Ertragung von Furcht, R. Mendel Witebsker als Wunder eines Gaon (talmudischen Universalgenies) und R. Jakob Schimschon Szepetowker als Wunder eines tiefen Kopfes — gehörte. Nach dem Ableben ihres großen Führers, als der von Wilna aus entfachte Kampf die Judenheit in zwei Lager zu spalten drohte und Elemente aus den niedrigsten Schichten aus beiden Seiten zur Betheiligung aufrüttelte, befiel die vornehmsten Geister etwas wie Verzweiflung und Widerwillen vor der Einmischung in die zerrütteten Verhältnisse. R. Mendel Witebsker. ein Mann von fürstlichem Auftreten, dessen Schrift Uri Haare? zu den feinsten und adligsten Erzeugnissen der chaßidischen Literatur gehört, deren hohe sittliche Strenge mit einer Toleranz gepaart ist, wie sie der Satz enthält, daß der größte PV"!, der seiner väterlichen >' Religion noch so entfremdet ist, Momente haben kann, in denen er, umgeben von dem wüstesten Chaos, dem göttlichen Willen näherkommen kann, als der Zaddik — entschloß sich, wie einst der Balschemtow selbst, Polen den Rücken zu kehren, und seine Thätigkcit der Restauration Palästina's zu widmen. Seine würdigen Gesinnungsgenossen und Kollegen, R. Jakob Schimschon Szepetowker, R. Abraham Kaliskev, R. Israel Polocker, deren schriftliche Nachlässe von ihrer Geisteshoheit zeugen, und der jugendliche Raw R. Senior Salmon selbst, begleiteten ihn. In .Konstantinopel war es, wo der obengenannte Szepteowker den berühmten Chacham Baschi Bechar David durch seinen Scharfsinn in Erstaunen setzte, und ihm, als er ihn fragte, ob er in Polen seines Gleichen zurückgelassen habe, antwortete, daß N. Baruch von Medziborz (Enkel des Balschemtow) die Thora kenne, wie sie an: Sinai gegeben worden sei.