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Der Chaßidismus : eine kulturgeschichtliche Studie / von Verus
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Volk ein Analogon findet. ^ Den Fußstapfen seines Lehrers folgend, der an die Stelle der durch den Balschemtow hervorgerufenen außerordentlichen Emotion des Gemüthes das Studium und die Vorherrschaft des Geistes wieder in den Vordergrund gerückt hatte, gestaltete der Naw diesen Weg zu einem äußerst fruchtbaren Systeme eines Lehrgebäudes, das Talmudstudium und Sohar in einer Beleuchtung zeigt, welche dem unlöschbarsten Wissensdurste die vollste Befriedigung bietet, weil es ihm die tiefsten Quellen der Thätigkeit des Geistes und des Gemüthes in einer Psychologie klarlegt, die in der Anschauung und experimentuellen Beobachtung des eigenen Ich, innerhalb der mit bewun­dernswertstem Genie festgestellten Grenzen der menschlichen Erkenntniß, durch psychochcmische Analyse der Verschiedenheiten der Systeme des Nichtich, des Willens, der analytischen Vernunft, der synthetischen Phantasie, des beide verknüpfenden Bewußtseins, welche durch das Gefühlssystem mit seiner Ein- theilung in höheres, Liebe, Furcht, Schönheits-(Wahrheits-)sinn, und niederes, Energie des Ich als praktische Vermittlung der Ersteren, Hingebüng der zweiten und verknüpfende Lust des dritten die Handlung Hervorbringen, die auf religiösem Gebiete als Endziel das von Geist und Gennith durchleuchtete Gebet auszu­bauen hat.

Die Popularisirung eines solchen Programms, das Herabsteigen zu den Massen, stieß nun bald im engeren Kreise auf Gegnerschaft. Namentlich stemmte sich der große Corrector des Zeitalters, der bereits erwähnte R. Baruch, Enkel des Balschemtow, gegen diese Art Neubewafsnung des gemeinen Mannes mit dem Dynamit philosophisch-mystischer Conceptionen. Aber die Gegend, in welcher der Naw lehrte, das Menfchenmaterial, das durch mehr als ein Jahrhundert die Popularisirung des Thora-Studiums nach altem Schnitte so weit getrieben hatte, daß Fuhrleute, Holzhauer und Wasserträger die größten Werke auswendig kannten, rechtfertigten die Nothwendigkeit dieser Taktik mit dem Eintritte der neuen Verhältnisse, trotz ihrer unleugbaren Mängel und ihrer unvermeidlichen Oberflächlichkeit bei der großen Masse. Der Witz des Chossid persiflirte die Philosophie des Chabad und dessen LittuI basescb, d. h. dessen positiven Nihilismus, wie er sich im praktischen Leben darstellt. Ein Chabad schuldet dein Andern 1000 Rubel und antwortet auf die Mahnung des Gläubigers: Der Rebbe hat gesagt, die Welt ist Nichts, folglich sind wir beide Nichts, Nichts bin ich Dir schuldig, Nichts gebe ich Dir zurück, folglich sind wir quitt.

In Palästina, dem unzerstörbaren geistigen Zentrum des Judenthums, hatte 9t. Mendel Witebsker der neuen Organisation achtunggebietenden Einfluß gesichert. In Mähren hatte der unangreifbare, heilige Gelehrte R. Samuel Schmelke Horowitz, von dem der Gaon in Variation eines Talmudwortes sagte: dXDLNQ 1N^2^Alle sind abgethan außer Samuel", den

Angriffen des großen Prager Rabbiners R. Jecheskeel Laudau lXocln disebuclab) und seiner Schüler eine unüberschreitbare Schranke gestellt, ebenso wie sein Bruder R. Pinchas in Frankfurt a. M. denen der süddeutschen Rabbiner HR. Josef Steinhart).

In Karlin an der litthauischen Grenze lehrten zwei Schüler des großen Magid R. Dowber, die als die Heiligsten unter den Großen verehrt wurden. R. Ahron Karliner, den derRaw" so bewunderte und von dem er erzählte, daß der gemeinste Mann, wenn er an den Standplatz kam, wo Jener gebäet hatte, von Sehnsucht ergriffen wurde und den Ort nicht verlassen konnte. Er starb ini Alter voir 35 Jahren. Ein feuriges Lied zur Verherrlichung des Sabbath's ist von ihm geblieben. Bemerkenswertst ist sein Testament und die darin ent-