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Der Chaßidismus : eine kulturgeschichtliche Studie / von Verus
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Welche die tiefste Betrachtung und die angestrengteste Andachtsübung nichts andres sei, als auf spekulativein Wege erzeugte Frömmigkeit und Gläubigkeit ohne wache Ueberzeugung. Erst diese Furcht, welche die Seele wie in einem Luft­schiffe (Fesselballon) über den Körper in die psychischen Regionen erhebt, bilde den Anfang der positiven jüdischen Religiosität, wie dies durch Citate von Abra­ham's Bund bis Daniel und die letzten Propheten begründet wird. ° Die popu- larisirende Religionsphilosophie hatte diesen Lehrsatz als den Massen unerreichbar in den Hintergrund geschoben, mW gegen diese Popularisirung hatte R. Baruch feine Stimme erhoben und gesagt, daß der Unterschied zwischen Ebocbmab cbwoint und pniinit, profaner und religiöser Wissenschaft, sich nicht auf den Unterschied des Themas beschränke, wie er etwa zwischen Mathematik und Talmud bestehe; denn z. B. bei dem ersten Gebote der Kalenderbestimmung, dein Liclciuseb lmcbocleseb, wird die Astronomie religiöse Wissenschaft sondern der Unter­schied sei ein subjektiver. Wissenschaft ist nur dann heilig, wenn sie direkt vom Kopfe in das Herz hineinlcuchtet, und wo diese Verbindung unterbrochen ist, wird religiöse Wissenschaft zur profanen. Bei R. Levy Isaak war auch das Studium religiöse Andacht, lote bei den Prophetenschülern Samuel's, von denen es, als Saul in ihre Mitte trat, heißt:Und er fiel hin für den ganzen Tag und die Nacht." Das Targum übersetzt N mit ^"12geistesabwesend" und will damit sagen, daß unterentkleidet" hp) die Abstreifung des körperlichen Seelen­gewandes zu verstehen sei. R. Levy's Zeitgenossen, die nach einer Analogie für feine überwältigende Erscheinung suchten, verglichen ihn mit R. Akiba, von dem es heißt, daß man ihn beim Gebete in einem Winkel des großen Bethhamidrasch verließ, um ihn am Schlüsse infolge seiner körperlichen Anstrengungen im ent­gegengesetzten Winkel wiederzusinden. Aehnliches berichtet auch der Talmud von R. Akiba's Lehrer, der auf dem oberen Markte seinen Gebctmantel,' in Gedanken vertieft, verlor und ohne denselben auf dem unteren Markte seinen Vortrag sort- sctzte. Bei seinem Tode geriet!) R. Akiba in solche Ekstase, daß er, feiner Sinne nicht mächtig, gegen das Gesetz sich blutig schlug. R. Pinchas Koretzer, der wie viele große Lehrer gegen jede laute und stürmische Bewegung beim Gebete war, erklärte diese Eigenthümlichkeit beider großen Tanaim durch den Umstand, daß beide, als Bauernkinder geboren R. Akiba noch dazu als Sohn eines Prose- lyten und als Hirt erst als Erwachsene sich dem Studium widmeten und daher ihren Körper nicht in Harmonie mit ihrem vulkanischen Geiste hatten bringen können. Das üliopaocbtrm ba§n8cbiniju8 hat, sagte er, eine Aehnlichkeit mit der definitiven Trennung der Seele vom Körper im Tode, aber auch, diese kann bei einem harmonischen Organismus in aller Ruhe vor sich gehen. R. Baruch, der große Korrektor, sagte von den: Gebühren des Berdyczewer Raw: Es heißt bei Ahron, als er den goldenen Leuchter anzündete: Ahron that so, wie ihm ge­boten wurde, wozu Raschi bemerke: zu seinem Ruhme ist das gesagt, da er Nichts geändert hat. Was hätte er denn ändern sollen? Die Feierlichkeit der Mizwah war aber derart überwältigend, daß, wenn R. Levy Isaak die Menorah anzu­zünden gehabt hätte, bei seinem Feuer die Menorah in dem einen Winkel, das Oel im andern, die Dochte im dritten angetroffen worden wäre, wogegen Ahron bei aller Furcht seine Bewegungen zu bemeistern wußte, fodaß er alles ohne Aenderung ausführte.

R. Levy's Gebet dauerte am Schewuothfefte von zwei Uhr beim Morgengrauen bis zwei Uhr Mittags, wobei er bei den einzelnen Halleluja's förmlich an den Wänden herumkletterte. Aber der Eindruck seines Gottesdienstes war so überwältigend, daß die größten Materialisten ihre Rührung nicht ver­bergen konnten. Sein Gebet mit übernatürlicher Anspannung aller Kräfte setzte