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Der Chaßidismus : eine kulturgeschichtliche Studie / von Verus
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gäbe nichts besäst, dem ungelehrten, leicht lenkbaren nnd mit inniger Gläubigkeir ausgestatteten südrnsiischen und Ukrainer Juden durch Gelehrsamkeit, Fleiß und strengste Keuschheit überlegen mar und sich von dem überaus schlauen, aber armselig geizigen galizischen Juden durch Einfalt und Großherzigkeit unterschied. So wie letzterer die Vorzüge und Fehler seiner ruthenischen, ursprünglich Gae- nannten rothruffischen Umgebung durch Anpassung erworben hatte, so hatte jener die Fehler und Vorzüge des eigentlichen Polen, dieses Franzosen des Osten, seine. Rappelhaftigkeit, Zanksucht nnd Spielwuth ererbt. Das Land zerfiel in Klein- und Großpolen, welches letztere als Ausläufer deutschen Bodens mit dem Spitz­namen sD)der Weinstock Israelis" benannt wurde, wobeiM die Initialen

vongroß-polnische Narren" bildet, weil man nach einem bei allen Nationen des Mittelalters , gang und gäbe gewordenen Urtheil oder Vorurtheil den deutschen Boden für das llwm meLnclcleles tivsclnin, die Domäne der Dummheit, hielt. Die ungelenke Schlichtheit des Deutschen, die sich an; spätesten aus der Hülle vandalischer Rohheit heranszuschälen vermochte, umschließt aber, wenn auch unvermittelt neben einander liegend, die Fähigkeit für wissenschaftliches Denken ein, und so stand es auch bei den; großpolnischen Juden mit seiner täppischen, aber groß angelegten Gelehrsamkeit. Nachdem die annektirten dentschpolnischeu Landestheile der Germanisation nnd Assimilation keinerlei nennenswerthen Widerstand zu leisten vermocht hatten und den einzelnen ausgezeichneten Führern der alten Orthodoxie das Heft aus den Händen entglitten war, eroberte der Chassidismus auch diese letzte Hochburg der. alten Schule durch Männer von ganz besonderer Eigenart.

Der Kozieniecer Magid, der Rebbe und derJüd".

Da war zuerst N. Israel, Sohn eines armen Buchbinders R. Schabse in Kozieniec, 12 Meilen von Lublin. Sein Vater war ein ungelehrter Handwerker von selten schlichter Frömmigkeit. Als eines Kolnidreabcnds in der Synagoge ein Streit wegen des Vorranges bei der Thoralade ausbrach, der in Thätlichkeiten ausartete, bei denen sich die Philister die Machsorim an die Kopfe warfen, daß die Ilmschlag­deckel in Stücke gingen, stand N. Schabse unbekümmert im Gebete, und als ihm nach Schluß des Gebetes die nach Hanse Gehenden auf die Schulter klopften mit den Worten:Schabse, Du hast Dir ein gutes Jahr ausgebeten" (weil alle

Machsorim neu gebunden werden mußten), hatte er keine Ahnung von dem ganzen Tumulte. Da seine Ehe bis in das vorgerückte Alter kinderlos geblieben war, folgerte er zum Balschem, der ihm sagte, daß er den Sohn, der ihm geboren werde, nach ihm noch bei seinen Lebzeiten benennen solle.

Der Körper unsres R. Israel war, da er dein Göeiseualter nahm Eltern entsprossen war, knabenhaft klein, von ganz außergewöhnlicher Magerkeit, aber bewobnt von einem der brillantesten Geister, die das Judenthum bervoraebracht hat. Als er noch Schüler des R. Schmelke Horowitz war, der damals in Riczewol lehrte, hatten die Misnaadim zwei Sendboten, darunter den Verfasser des 8iur lVlorclclmi zu Mahram Schiff gesandt, um die Einwilligung der Koryphäen des Zeitalters zu einem Banne gegen die Chaßidim einmholm. Da R. Schmelke ver­möge seines Adels sowohl wie seiner Gelehrsamkeit und Frömmigkeit dm ersten Rang einnahm, wandte man sich an ihn, mit der Erklärung, daß die großen Chaßidim, wie er, sein Bruder N. Pinchas, dann R. Mordchai von Neschchus, Urenkel des LleomIIe ^mullotb, und einige Andere von dein Banne ausge­schlossen werden sollten.Woher könnt Ihr wissen," antwortete der Rabbiner, wer die Großen sind? Seht Ihr" auf den achtzehnjährigen, knabenhaften