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Der Chaßidismus : eine kulturgeschichtliche Studie / von Verus
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und seines Vaters, die bereits eine neue Taktik nothwendig machten. Jener starb drei Jahre nach seinem Vater und hinterließ einen Sohn, N. Schalem, welcher dem Chaßidismus wiederum einen ganz neuen Weg vorgezeichnet hat, den einer Politisch-nationalen Organisation, wovon am Schlüsse die Rede sein soll. Ein Aurora sagt im Talmud:Wenn die früheren Engel waren, so sind wir nur Menschen, waren sie nur Menschen, so sind wir Esel." Ein Enkel des obgenannten Rabbiners bemerkte dazu, daß dieser Ausspruch nur die Lehre enthalte, daß die spätere Generation sich der veränderten Zeitlage entsprechend bewußt zu sein habe, daß eine sklavische Nachäffung der früheren ein vergebliches Beginnen sei.

Irr Ostgalizien war wiederum ein Marin aus dem Volke der Mann seiner Zeit. R. Uri voir Strelisko kann seinem ganzen Wesen nach mit Nesch Laktsch verglichen werden, wie ihn uns der Talmud irr verschiedenen Schilderungen vorführt. Er war der Lieblingsschüler des großen R. Salomo Karliner und ein großer Gegner des populären Kabbalastudiums, namentlich wie es der große Gelehrte und fruchtbare kabbalistische Schriftsteller R. Hirsch Zydaczower betrieben wissen wollte, der gegen das philosophische System der Chabad auftrat und die sephardische Methode wieder einführte. Von seinem Schüler R. Wolf Schönblum in Lemberg sind Aufzeichnungen von N. Uri unter dem Titel Imre Xuu6e8cb vorhanden. Er sagte in seiner strengen Manier:Das heutige

' Betreiben der Kabbala ist Lug und Trug. Der Gig hat mit seinen Augen gesehen, was er sagte; das hat aber nicht die geringste Aehnlichkeit mit dem, was darüber ausgeschrieben ist, und es ist vergebliches Bemühen, das Wesen dieser Wissenschaft aus den Buchstaben zu entziffern." Bei einem hierüber geführten Streite mit dem obgenannten Gelehrten rühmte sich dieser, daß er den ganzen Sohar aus­wendig kenne.Ich dagegen", antwortete R. Uri,kann einen Gedanken durch tausend Tage festhalten".

Auch R. Israel Kozinieccr stellt fest, daß der Unterschied zwischen dem. Zaddik und dem gewöhnlichen Gelehrten mit dein Unterschiede zwischen dem sogenannten psychischen Groß- und Klein-Hirn, Nocbin clegncllus und elekatnus identisch sei. Der gewöhnliche Gedankenfluß bestehe in einem einig wechselnden Strome kurzer Gedanken, die bei dem gewöhnlichen Gelehrten, feiner Geisteskraft ent­sprechend zahlreicher sind als bei dein Nichtdenker und ihre Zahl bis zur Gedanken­flucht steigern können. Die wirkliche Größe, d. h. die Vollendung des, figürlich gesagt, erwachsenen Gehirnes, bestehe in der Größe und Ausdehnung des einzelnen Gedankens.

Ebensowenig ließ er die kleinen Rebbes aufkonnnen und unterdrückte sie, auch wenn sie wirklich höhere Fähigkeiten besaßen, weil er das Seher- und Wunderwesen nicht überhand nehmen lassen wollte. Ein andrer drastischer Ausdruck von ihm lautet:Wenn man den gemeinen Mann fragt: Wo ist

Gott? so antwortet er: Im Himmel. Fragt man den Lamdan, so fängt er an zu rechnen: Ball ocbouo (500 Jahre) beträgt die Entfernung von der Erde zum Himmel und so weiter, nach dem Wortlaut der Agada in Chagigah. Fragt man den Kabbalisten, so fängt er an, in den Welten (Aeonen) herumzuirren. Fragt man den Ehoßid, so antwortet er: scbelmbol Wiho IMUvorauDas All ist auf Seinen Befehl erschaffen worden". Man wolle über der Drastik dieses Wortes nicht vergessen, daß es die treffendste Abfuhr sowohl für Laplace's als für Kant's anthromorphe Vorstellung bietet. Seine Strenge gegen den frömmelnden Pöbel wurde durch seine Liebe zu dein mindesten schlicht-ernsten Juden und seine Toleranz gegen Entgleiste reichlich ausgewogen; doch zitterte inan davor, ihm zu nahen. Sein Gebet war furchtbar. Das