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Der Chaßidismus : eine kulturgeschichtliche Studie / von Verus
Entstehung
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Dieser jedenfalls sehr bedeutende Mann, dein ein Nebennaß von Klugheit das Fehlen von Weisheit ersetzte, hat den Chassidismus mit einer Reform bedacht, welche geeignet war, die schlimmsten Befürchtungen der alten Gegner, die bisher so glücklich vermieden waren, zu rechtfertigen und das Wort seines Lehrers zu bewahrheiten, daß zwischen Chaßidismus und lVlinus (Reform) nur eines Haares Breite liege.

Nun genügt das zwar für die ewige Trennung zweier parallel laufenden Linien, aber in der Zeichnung durch- Menschenhände verwischt sich leicht der unüber­brückbare Abstand.

Wie einer seiner Schüler im Kommentar zu Naim cl'be Elia berichtet, war sein Ideal Jedaja Hapenini, auch Bunet Abrain genannt, aus dessen geistige Wahlverwandtschaft er sich berief. Wir besitzen ein genaues Bild von ihm in einem apologetischen Schreiben an R. Salomo bei: Aderet (Naschbo, um 1305), das uns Aufschlüsse über das Programm dieses Mannes liefert, der bestrebt war, jenes Zeitalter des provengalischen Mittelalters mit seinem geistreichen, un­gebundenen, demokratisch sreigläubigen, aber keineswegs ungläubigen Hellenismus und der spaniolischen kühnen Scholastik wieder herrschend zu machen, nachdem es durch das Erscheinen des Sohar weit kräftiger vernichtet war, als durch die Bann­strahlen der Talmudisten. Jener Briefwechsel von Resp. 413 bis 418 ist eine Fundgrube kulturhistorischer und religionsphilosophischer Lehren, hat aber be- sondres Interesse durch- seine Aktualität für die Entstehung der so unvermittelt und vulkanisch entstandenen Reform, wie der ihr entgegengesetzten und sie be­kämpfenden Bewegung im Chaßidismus.

Ist schon der Parallelismus der Erscheinungen aus verschiedenen Gebieten heutzutage ein Objekt der Forschung nach verborgenen, vorläufig unerkannten Gesehen, so ist es nicht minder, als bei der vollständigen Trennung im Raume, der Parallelismus der historischen Wiederholung in zeitlich durch Jahr­hunderte getrennten Epochen.

In vielerlei Beziehungen ist der Rückblick auf jene Vergangenheit lehrreich.

So zunächst die in Resp. 413 mit der Ueberlegenh-eit talmudischer Schärfe, die wir auch bei Äschert (Rosch) gegenüber dein arabischen Fasler Isaak Israeli bewundern, abgegebene Jnkoinpctenzerklärung des Raschbo, die scheinbaren In­konsequenzen und Widersprüche zu lösen, die sich im Talmud bei Behandlung der Verbote des Aberglaubens (Harke Im-Umori) und den davon gestatteten Ausnahmen ergeben; die Behandlung der' zwei noch heute einander in den Haaren liegenden Richtungen der maimonidischen Rationalisten und nachmanidischen Spiritisten und das Citat des Letzteren, worin er sich auf die Omssicle /llleinania, die deutschen Chaßidim (R. Juda und seine Schule), beruft, die sich darin weit mehr und zwar aus einem Gebiete exponirt haben, das der neue Chaßidismus geradezu pechorreszirt, so daß er einen ganz enormen Fortschritt gegen das Mittel- alter bedeutet. Wenn die Ansicht der neuesten Archäologen richtig ist, daß llmori und Germanen identisch sind, so wäre die talmudische Benennung für Aberglauben als Emoriwesen geradezu klassisch, da bei keinem andern Volke Aberglauben und Unglauben seit ältesten Zeiten so unvermittelt neben einander zu finden sind.

In den nächsten 4 Responsen folgen klar und scharf die Anschuldigungen gegen die Bewohner der Provence, des Landes der Troubadours und der Minne­sänger, der feurigen Weine und der reichen Seestädte, dem Sitze der sinnlichen Unterlage der alten wie der modernen Aufklärung. Bedarschi (von U>sAere8 mit arabischer Ausspracke des Dzal) leugnet in seinen: Vertheidigungs- schreibcn dieselben ab oder sucht sie zu umschreiben. Nus der seitenlangen Ein-