Druckschrift 
Der Chaßidismus : eine kulturgeschichtliche Studie / von Verus
Entstehung
Seite
178
Einzelbild herunterladen

178

Es sammelte sich noch bei Lebzeiten seines Lehrers R. Bunem ein Anhang junger Leute von trotzigein Charakter und scharfen Köpfen um ihn, namentlich aus der Tarnogroder und Partzower Gegend, littauische Köpfe mit wilden Sitten, von den sanfteren, mit den alten Lehrern noch bekannten und ihren Nachfolgern befreundeten Polen als Eindringlinge gemieden und gefürchtet. Ein Bruder meines bereits erwähnten alten Lubliner Freundes besuchte den ihm von dem engelgleichen, sanftmüthigen und liebreichen R. David Lelower bekannten R. Bunem. In dem Vorsaale sah er einen jungen Mann von wildem Aeußern im Sturmschrit den Saal von einer Ecke zur andern unablässig hin und her durch­messen, und da derselbe eine Tabakdose in der Hand hielt, bat er ihn um eine Prise, was mit mürrischem Brummen, ohne daß der Sturmlauf unterbrochen ward, abgewiesen wurde. Der Mann zog sich ohne Prise zurück und setzte sich auf die Ofenbank. Im Nu war er von einer Schaar wild aussehender Gesellen umringt. Ein schönes Jüngelchen", sagte der Eine und zupfte ihn am Ohr.Ein präch­tiger Mann", sagte der Andre und riß ihn bei der Nase. , Einsehend, daß er einer unverhofften Tracht Prügel entgegensehe, erhob er sich zornig und schrie sie aus Leibeskräften an. Durch den Lärm aufmerksam gemacht, erschien der bereits halb erblindete Rabbi in der Thür, und als er des alten Bekannten ansichtig wurde, kannte seine Freude keine Grenzen.Was ist da los?" fragte er die etwas bestürzt gebliebene Rotte.Er hat Mendlen um eine Prise gebeten." Ein Majestätsverbrechen! Der greise Lehrer hielt ihnen nun eine gehörige Straf­predigt und entschuldigte sich bei dem Freunde, daß ihm die jungen Zuschüblinge über den Kops wüchsen; er fühle sich ohnmächtig diesen Elementen gegenüber, die er selbst wachgerufen.

So schasst die enge Verbrüderung eines Vereines die Feindschaft und Absonderung von dem großen Verbände, dessen Individuen wie sich selbst zu lieben, die Thora gebietet. Ein drastisches Wort hat ein Krakauer Melammed dafür geprägt. Die Tochter des durch seine Großthaten während der Metzeleien von Praga (1799) berühmten reichen Berka, der -einen Dukaten auf den Kopf jedes tobten und vier Dukaten auf dm Kopf jedes lebenden Juden setzte, den ihm die Kosaken bringen würden, und dadurch Tausenden das Leben gerettet hat, war eine begeisterte Änhängerin der Chaßidim, und als R. Bunem und R. Isaak Warker noch unbemittelt ivaren, gab sie denselben mit noch vielen Anderen als Schreiber oder Aufseher in ihrm großen Waldungen und Geschäften leichte Anstellungen, die sie reichlich honorirte. Ein Krakauer, Herschel Melammed, der ihr Verwandter war und eine Tochter auszugeben hatte, wandte sich an sie um Mitgift. Sie gab ihm eins kleine Gabe und wies im klebrigen seine Bitte ab, trotzdem er ihr ihre großartigen Unterstützungen an völlig Fremde vorhielt. Umsonst! Da sie eine gelehrte Frau war, sagte er ihr:Jetzt verstehe ich eine Raschistelle, die mir zeitlebens schwer war. Raschi sagt: Warum heißt der Storch OmLsiclnb (die Fromme, die Chaßidin) ? Weil sie ihren Kollegen behufs Er­nährung Wohlthaten erweist. Ich begriff nun nicht, wie eine Wohlthäterin unter die unreinen Vögel gerechnet zu werden kommt. Jetzt versteh' ich's. Sie bezeugt nur ihren Kollegen Wohlthaten, aber anderen Juden nicht, auch wenn sie Verwandte sind; folglich ist sie ein unreiner Vogel."

Die Exklusivität dieses Corpsgeistes, der in: eigenen Kreise eine seltene Einigkeit und Aufopferungsfähigkeit erzeugt hat, die alle Standesunterschiede aufhebt, wirkt noch heute störend durch die Theilnahmlosigkeit, welche diese pol­nischen Chaßidim gegen die jüdische Gesammtheit zur Schau tragen. Me eine Versündigung gegen diesen Corpsgeist bestraft werden kann, das hat jener bereits genannte Isaak Vlieses erfahren. Als er noch heißer Choßid war, der die Schau-