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die bei den westlichen Juden «intrat, nachsichtige Beurtheilung zu, denn schließlich gewannen die zahlreichen besonnenen Elemente wieder die Oberhand über die Ausschreitungen der Flegeljahre.
Eingefügt in das Gesammtbild unserer alten Geschichtsscenerien, in welchem die erste Periode des Chassidismus eine merkwürdige Nehnlichkeit mit der Richterzeit aufweist, kann die nachfolgende, die größere Aufmerksamkeit verdient, als ihr durch diese Zeiten verschafft werden kann, nur, mit den Zuständen im Zehnstämmereiche verglichen, ethnolooisch richtig beurtheilt werden. Die Unbedeutendheit unserer heutigen Verhältnisse (man hat unseren Vorfahren auf ihrer Insel im heidnischen Völkerozean übrigens damals noch weit weniger Beachtung geschenkt) kommt für den vorurtheilslosen Forscher dabei garnicht in Betracht. Im Gegentheil. Ein Zeichner der „Gartenlaube", den ich zufällig einmal am Haschana Rabba in ein Bethhamidrasch zu führen Gelegenheit hatte, war, wie er sich ausdrückte, erstaunt über diese alttestameutlichen Gestalten, die so ganz anders aussähen, als die Juden des Westens. Diese Autosuggestion des Künstlers, der doch keine alttestamentlichen Juden gesehen hatte, findet übrigens ihre Bestätigung auf den alten Denkmälern der Archäologie.
Die Erkenntniß der alten Charaktertypen, die in der heiligen Schrift mit so kurzen, dein Laien kaum erkennbaren Strichen gezeichnet sind, lehrt dieses Volksleben erst wieder. Wir wollen keineswegs in den Fehler der Neuhebräer verfallen, die in ihrem Wahnwitz einen Gordon mit Jesaia vergleichen, den Maulwurf mit dem Königsadler, ein Olk is ein Olk (Vogel ist Vogel) — aber, wer ächte „gute Jüden" gesehen hat, der hat einen so überwältigenden Eindruck empfangen, wie ihn seine öde, unfruchtbare Vorstellungskraft niemals aus sich selbst zu erzeugen im Stande gewesen wäre, und am Ende war ja auch die subjektive Aufnahmefähigkeit der Zeitgenossen der Propheten selbst mit dieser lleber- wältigung des Eindruckes erschöpft. Welchen Eindmck hat übrigens auf solch einen Offizier der Vorzeit der Prophet Elia gemacht, „ein Mann mit
starkem Haarwuchs und einem Ledergürtel um die Lenden"! — lind der Prophet Elischa, von dessen Antlitzleuchten die Tradition berichtet'! Fanden sich nicht Buben, die ihn als Gegensatz zu seinem Lehrer als Kahlkopf verhöhnten und ihm zuriesen: Nls? „Steige auf, Kahlkopf!" Das Volk wird eben — zugleich Lob und stiller Tadel — 12^ 2P ^812" 'Ü2ß „das Ihm nahe Volk" genannt. So kann es kommen, daß bei Vielen der! Größte ebensowenig Eindruck macht, als etwa der gewaltigste Staatsmann oder Schlachtenlenker der Arier auf den kleinen Prinzen, der mit Blechfoldaten spielt. — lind die dritte Scene bei Jchu, den der Prophet aus der Mitte der zechenden Feldherren herausruft und zum König salbt. Wie er zurückkehrt, fragen ihn die Anderen: „Was bat der Verrückte von Dir gewollt?" Er antwortet: „Ihr kennt ja den Mann und seine Reden." Aber Lei'diesen kampfgewohnten, rauhen Kriegern schlummert im Hintergründe der Seele der Respekt, und sobald er ihnen die Wahrheit sagt, machen sie aus der Sonnenuhr einen improvisirten Thron mrd huldigen ihm als König.
Bei den wirklichen O'ipINN, den Fernstehenden und den Generationen der späteren Zeiten, ist das Verhältniß ein andres. Als Amsterdam sich den Rabbiner R. Eleasar Rokeach aus Brody holte (um 1740), da war man von seinem Anblick so hingerissen, daß man ihm die Pferde ausspannte, um seinen Wagen zu ziehen, und Münzen mit seinem Bildnis; prägen Iwß. Vor dem Rabbiner von Pinczow, R. Abraham, Verfasser des Xesser Kebuna, Jngendlehrer des Chaßidimrabbis R. Meier Apter (er selbst gehörte dem Chassidismus nicht an), knieten die polnischen Bauern nieder, wenn er über den Markt ging.