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Der Chaßidismus : eine kulturgeschichtliche Studie / von Verus
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Gaon und dem Magid betreff des Vorranges in talmudischer Gelehrsamkeit, zn seinem Schreck beantwortete, schildert sein Sohn in der Vorrede eines der Werke seines Vaters. In Lublin hatte er einen ähnlichen Vorfall. Er hatte, am Sabbath früh den Schlüssel seines Neisekoffers im Logis abzuziehen ver­gessen, und während der Schnrone Eßreh erinnerte er sich mit Unruhe daran, daß ihn ein Diebstahl treffen könnte. Beim- Mittagstisch, an dem er, wie alle Fremden, theilnahm, sagte der Seher:Es kommen Rabbiner zu mir, die bei dein Gebete jissmacb ücko^kelr, anstatt Mosche den Schlüssel ihres Neisekoffers im Sinne haben." Obwohl R. Moses derartige psychische Fähigkeiten nicht ge­nügend imponirten, um einen vollständigen Systemwechsel zu rechtfertigen, fand er sich doch veranlaßt, genaue Prüfungen dieser: Lehrer vorzunehmen, deren geistige Ueberlegenheit und tadellos heiliger Lebenswandel aus dem früheren Gegner einen der fanatischsten Anhänger machten. Als er dann das Rabbinat in Satoralya-Ujhely, übernahm, strömte ihm, als Chaßidim-Nebbe, die ganze Judenheit der Marmaros zu. Sein Responsen-Wechsel mit dem großen R. Mose Soser von Preßburg, der ihn als durchaus ebenbürtigen Kollegen behandelt (siehe dessen Responsen I, 16, 16 und 197), ist in mehr als einer Beziehung merkwürdig. Es war bei den alten Chaßidim, wie bereits erwähnt, Usus, weder Tuch noch sonstige Wollstoffe zu tragen. Mit dem Eifer des Neulings hatte der Ujhelyer Rabbiner daraus einen förmlichen Din gemacht, und als man einen ungarischen Gelehrten, der sich darum nicht kümmern wollte, nicht zum sinnet (Betpult) zuließ, appellirte dieser an den Preßburger Rabbiner. Dieser ant­wortete (16,16), daß er zwar den mährischen Tuchsabrikanten keinen kleebseber (Approbation) ausstellen wollte, daß ihr Fabrikatschatnessrei" sei, daraus aber ein Verbot abzuleiten, besonders beim sephardischen Ritus, nicht in Woll- zeug beten zu dürfen, sei eine unbegründete Novelle zu den Erschwerungen des Schulchan Aruch. R. Mose Soser theilt bei dieser Gelegenheit mit, daß seine Lehrer in Frankfurt, der Choßid R. Pinchas Horowitz und R. Natan Adler die Einzigen in ihrem Bethamidrasch Waren, die auch beim Vorbeten nach chaßidischem Ritus beteten, trotzdem alle klebrigen nach altem aschkenasischen mitbeteten. Gleichzeitig macht er die interessante Mittheilung, daß der Sohn des R. Pinchas, der Verfasser des Nacbneb Devi, bald nach dem Ableben des Vaters (R. Natan Adler hatte zu dessen großem Kummer bereits früher das Zeitliche gesegnet), das Bethamidrasch schließen ließ und in die alte Synagoge zurückkehrte. (Dieser, blinde Eifer gegen die scheinbare Neuerung hat nur den Erfolg gehabt, daß der alte Ritus mit solcher Wucht durch die hercinbrechende Reform hinweggefegt wurde, daß Rabbiner Hirsch bei seinem Antritte in dieser uralten Gemeinde nur mehr elf Personen Vorsand, die überhaupt noch Tefillin anlegten.) Zum Schlüsse beklagt R. Mose Soser die entstandenen Streitigkeiten, durch welche das jüdische Lager, wie zu Josephus' Zeiten, in drei Parteien ge­spalten sei, (damals in Chaßidim, Pharisäer und Sadducäer, jetzt) in Fromme, Ultras und Reformer, eine Parteienbildung, die in Zeiten stürmischer Bewegungen übrigens unvermeidlich ist. Obwohl er dein Chaßidismus als einer Neuerung überhaupt mißtrauisch gegenübcrsteht, hätte sich derselbe keinen besseren Gegner wünschen können. Denn abgesehen davon, daß er diesen Hort und Hüter des Talmud und der Kabbala schon mit Rücksicht auf seine oben genannten Lehrer gewissermaßen zu den Seinigen zählen konnte, hat er im Prinzip die An­schauungen des Chaßidismus geradezu sanktionirt, und wenn der Letztere eine Apologetik für nothwendig erachtet, so ist dieser große Lehrer das einzige kom­petente Forum, nicht aber das moderne Halb- und Dreivicrtel-Renegatenthum