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Der Chaßidismus : eine kulturgeschichtliche Studie / von Verus
Entstehung
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P a r a l l e l i s m u s.

In den hinter uns liegenden Jahrhunderten, in welchen sich die arische Forschung aus dem Tiefstände mittelalterlicher Geistesnacht mühsam an die Oberfläche herausarbeitete, Schritt für Schritt die aristotelische Scholastik und ihre schale Auf- klürerei verdrängend, galt der Zufall als ein Hauptaxiom der Vorgänge in der leb­losen Natur sowohl als in der bewußten Kulturentwickelung. Erst als mit dem Entstehen der neuen Wissenschaften die Alles durchdringende und beherrschende Gesetzmäßigkeit zur Erkenntniß kam, münzte Pinel das Wort: Der Zufall ist ein Begriff, dessen sich das Unvermögen des Forschers bedient, um seine Unwissenheit zu verbergen.

Erst im Zeitalter des elektrischen Verkehrs, der über Zeit und Raum hinweg eine gemeinsame Forschung in beiden Hemisphären ermöglicht, beginnt man zu ahnen, daß es Gesetze über das Wachsthum der Ideen wie über den Parallelismus der Erscheinungen gibt, von denen die alte Philosophie keine Ahnung hatte. Da ist z. B. die zum Gesetz erhobene Beobachtung von der Duplizität der Fülle in der Medizin. Sobald nämlich neuartige Krankheitsfälle beobachtet werden, von denen in einem Zeiträume von 4050 Jahren keine Analogien nachweisbar sind, so stellt sich der merkwürdige Umstand ein, daß dieselben auf den räumlich getrenntesten Gebieten gleichzeitig auftreten. Ebenso geht es im Reiche der Ideen. Ein eklatantes Beispiel bietet die Erfindung der Infinitesimalrechnung, welche so gleichzeitig bei Newton und Leibnitz erfolgte, daß beim Bekanntwerden derselben der Eine den Andern durchaus grundlos des wissenschaftlichen Diebstahls beschuldigte. Beide ahnten nicht, daß auf einem einer ganz fremden Region angehörigen Geistesfelde, in einem anscheinend durchaus inkommensurablen Verhältniß die Oru8od6 Ln Lol (wörtlich: Jnfinitesimalsorschungen) durch R. Chaim Vital in die Gedankenwelt lancirt worden waren.

Wiederum ist der Talmud, diese geistige Schatzkammer, die einzige antike Quelle, die sich mit diesem Problem eingehend beschäftigt. In Baba batra 12 wird die Entstehung des Parallelismus der Seelenverwandtschaft zweier Forscher von einer und derselben Wurzel zugeschrieben In Erubin 43 wird

genauer auf die Möglichkeiten eingegangen und zwar auf supranaturalistischem oder spiritistischem Gebiete. Anlaß bot, wie bereits früher erwähnt, der merkwürdige Vorfall, daß 7 Sentenzen, an einem Sabbath-Frühvortrage in der Hochschule Sura von dem Oberhaupte Rab Chisda ausgesprochen, an demselben Sabbath in einem Nachmittags- Vortrage in dem weit entfernten Pumbadita von dem Oberhaupte dieser Hochschule Rabba vorgetragen wurden, und es entstand darüber eine Controverse, ob eine derartige, wegen der Entfernung von Tagereisen und der Sabbathruhe auf physischem Wege gleich unmögliche Vermittlung dem Propheten Elia oder dem Spiritisten Josef X-ttlry zuzuschreiben sei. Besonders merkwürdig wird die Controverse bei dem Kommen­tator Or Loruu (R. Isaak von Wien, um 1266), der für den letzteren Fall, bei Besprechung der verschiedenen Kollisionen mit den Gesetzen des Sabbaths, znm ersten Male in der Literatur der Menschheit einesTelephons" gedenkt, als einer mechanischen Vorrichtung, deren sich die Spiritisten zur Uebermittelung ihrer Mittheilung in die Ferne bedienen. Freilich war es kein Edison'scher Apparat, aber in seiner Art merkwürdig. (S. 172.) Dieser Mann war das Oberhaupt der aschkenasischen Judenheit seines Zeitalters und, als Schüler des R. Juda Chassid und des R. Jechiel von Paris, gleichzeitig Oberhaupt der 61w88iä6 der deutschen Chassidim,

wie sie sein Jugendkollege Nachmanides nennt, und wiederum Lehrer des berühmten R Meir von Rothenburg. Jene Schule hatte in arischen Kreisen einen höchst merk-