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Der Chaßidismus : eine kulturgeschichtliche Studie / von Verus
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gehört von ein und demselben Manne. Jenem, der eine stärke Einbildungskraft und einen schwachen Verstand hatte, half sie, bei mir,, der ich dies von vornherein für unmöglich hielt, blieb sie wirkungslos."

Dazu bemerkt Schemtow: Das ist eine leere Ansicht und hohle Phantasie. Die Einbildungskraft kann die Thätigkeit der Organe nicht aufhebeu, sonst würden unsere Märtyrer im Feuer des Scheiterhaufens nicht verbrannt sein. Auch hat ihm die Formel nichts genützt, sondern er hat sich früher mit einer Salbe schmieren müssen, daß der Pfriemen keine Wunde hinterlassen hat. Man sicht da, daß Verstand und Phantasie die Empirik des Experimentes nicht ersetzen können. Erst das letzte Jahrhundert hat diese Thatsachen physikalisch bestätigt, ohne dieselben durch hohle, scholastische Formeln erklären zu wollen.

Das aktuelle Interesse an allen diesen Fragen besteht erstens in der richtigen Beurtheilung der unerhörten Umwälzung, auf geistigem Gebiete, durch welche das neunzehnte Jahrhundert alle Grundlehren der traditionellen griechischen Weltanschauung auf den Kopf stellend, ein Chaos der widersprechendsten und unentwirrbarsten Gegensätze geschaffen hat. Dabei tritt erst heute der extreme Gegensatz zwischen den Strömungen der ersten und zweiten Hälfte dieser Epoche vollständig ins Gesichtsfeld. Die scheinbare Tageshelle, eines scheinbar wachen Bewußtseins in neuen philosophischen Systemen mit verkappt mystischen Conceptionen der ersten Hälfte des Jahrhunderts verräth dem Auge des Pathologen den hypnotischen Zustand, der in der zweiten Hälfte urplötzlich in den wüstesten Tranmzustand einer funkelnagelneuen cxperimentucllen Psychologie umschlägt, deren besorgnißerregende Symptome Hand in Hand gehen mit einem allgemeinen Bildungszustande, dem die unabhängigsten Beobachter das Stigma derEntartung" aufdrücken, wofür das Hebräische in seiner plastischen Vollendung des Sprachbaues den Ausdruck 711^2 geprägt hat. Diese wunderbare Anlage des Sprachgenius, die äußersten Gegensätze durch ein und dieselbe Wurzel wiedcrzugeben, entspricht vollkommen dem Entwickelungsgange derArt" (HQ), die, im Strebeil nach höherer Stufe den Boden verlierend, in atavistischem Rückfälle der Entartung verfällt. Diesen Prozeß verfolgt der Geschichtsforscher bei den ältesten heidnischen Kulturen bis ans die Neuzeit, ohne deshalb einen stetigen Fortschritt zur Ver­vollkommnung leugnen zu dürfen. Den festen Pol in der Erscheinungen Flucht bildete für den vorurtheilslosen Forscher das Judenthum sowohl in der alten heidnischen Kulturwelt mit ihrer farbenreichen, lebhafteil Entwickelung, als auch während des todesähnlichen Winterschlafes des europäischen Mittelalters. Die Art und Weise, wie es in seiner Vereinsamung und weltvergessenen Zurückgezogenheit an der neuen Lebensströmung Antheil genommen, ist geeignet, das Interesse des Ethno­logen und Psychologen zu beschäftigen. Versuchen wir einen Weg durch diesen dunklen Theil des geistigen Welttheils zu finden!

Als Abraham aus der Entartung der ältesten heidnischen Kultur von den Ufern des Euphrat nach dem Westen flüchtete, kam er vom Regen in die Traufe nach Aegypten, dein zweiten Kulturstaate, dessen Einfluß durch Vermittlung der Griechen und Römer noch bis auf den heutigen Tag die moderne Kultur beherrscht. Die Ursache, weshalb ihn die göttliche Vorsehung dorthin führte, enthüllt der Magid dem Verfasser des Schnlchan Aruch, R. Josef Karo, in ?. Uoob l'ollo mit folgenden Worten:Und als Abraham nach Aegypten hinabziehen mußte, geschah dies, um die Wege jener Seite kennen zu lernen, damit er aus denselben die der Heiligkeit richtig schätzen lerne, wie das Licht nur aus der Finsterniß in seinem Werthc erkannt wird. Daher sagen unsere Lehrer, anknüpfend an den Eingangs zitirteu Satz (5. B. M. 18, 22): Du sollst nicht lernen, so zu thun, aber Du darfst es lernen, um zu wissen und die Warnung zu lehren." Dasselbe wiederholt der Magid in ?. /rellro bei