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Der Chaßidismus : eine kulturgeschichtliche Studie / von Verus
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die als Wunder begriffenen Erscheinungen ihre Grenzen und ihre Gesetzmäßigkeit haben, wie auch gewisse Parallelismen in der Natur. An den Polen, die durch die Halste des Jahres von der Berührung mit den gewöhnlichen Lichtquellen aus­geschlossen sind, erhellen natürliche Feuersnulen die Nächte, die der anorganischen Erdseele entspringen, welche der moderne Arier mit den Verlegenheitsnamen Elektrizität oder Magnetismus bezeichnet.

Maimonides zieht im Novell eine scharfe Grenze zwischen Mosche und seinen Nachfolgern, nicht nur hinsichtlich dessen, was den Rang der Prophetie, sondern auch den Rang der Wunder betrifft, den großen Unterschied in deni Range der Systeme betonend, die denselben zu Grunde liegen. Obwohl er sich dabei auf die eigene Kraft seines Thorageistes verlassen und mit den primitiven Hülfsmitteln philosophischer Diktion begnügen muß, kommt er zu Resultaten, die merkwürdig parallel zu den tiefsten Offenbarungen des gehen. Er kommt dabei auf das

Wunder Josua's zu sprechen, der der Sonne im Kampfe mit ihren Anbetern Halt gebot, und erklärt dieses Wunder als eine visionäre Erscheinung (NX125N NX1V2), eine der Sentenzen des Novell, die in den Kreisen der Talmudisteu einen leicht begreiflichen Sturm berechtigter Entrüstung hervorgernfen haben. Gersonides (Ralbag), Enkel des Nachmanides, ein sehr scharfsinniger und gelehrter Talmudist und tiefer Denker, der sich in der Finsterniß der Scholastik oft über die äußerste Grenze hinaus verirrt, behandelt das Thema in seinem Werke Nüelluiuotll, das man spöttisch mitKriege gegen Gott" paraphrasirte, und zugleich die Schwierigkeit, daß (nach dem ptolemäischen System) durch einen Stillstand der Sonne das ganze Räderwerk der Schöpfung in Störung gerathen müßte. Er feilt daher an dem ein­fachen Sinne des Schriftsatzes so lange herum, bis von der ganzen Erzählung nichts übrig bleibt. Mahral von Prag, der gegen die Rationalisten seiner Zeit, namentlich gegen de Rossi, aufzutreten sich veranlaßt sah, schreibt im Oellurolll, daß die Sonne nur über dem Meridian von Palästina leuchtend verblieben sei, während überall der Täg seinen gewöhnlichen Verlauf geuominen habe. Die Aufklärung der Möglichkeit dieses Widerspruches will er als Geheimniß nicht veröffentlichen. Der Koziniecer Magid, in seinen Noten zu diesem Werke (genannt Oellurotll Israel), übernimmt dies an seiner Stelle, wie er sagt, als Zwerg auf den Schultern des Riesen, und sagt: Mahral bestreitet die Ansicht des Nachmanides, daß die Himmelskörper lebendige, beseelte Wesen seien. (Diese Ansicht vertritt Aristoteles in Konsequenz seiner Anschauung von der blos mathematischen Körperlichkeit der Himmelskörper.) Mahral betrachtet sie als völlig leblose, unbeseelte, anorganische Körper. Beide Ansichten sind einseitig und nur theilweise richtig, nur daß wir die menschlichen Begriffe von Seele und Seelenleben nicht ohne Weiteres auf jene übertragen dürfen. Ein anorganischer Körper ist ja in gewissem Grade auch der Mensch, und selbst anorganische Körper haben in einer gewissen Beziehung Leben und Seele. Es^ existirt eben ein Parallelismus auf getrennten Gebieten, in dessen Wesen R. Israel sich nicht einlassen will. Die Gleichung genügt für den in Rede stehenden Zweck. Der Mensch ist ein sehr komplizirter staatlicher Organismus, in dem nicht nur die Erde, sondern das ganze Universum vertreten ist: Mineralreich (Skelett), Pflanzeirreich (Mark), Thierreich (Blutgcfäßsystem), Mensch (Sprache), Dämon, Engel und Seele. Jede dieser Kategorien hat ihre eigenthümliche Beseelung. So giebt es, wie R. Chajim Vital im Lellnuve Kecluseimll ausführt, eine Art von anorganischer, vegetabilischer, animalischer Seele u. s. w. Die menschliche Seele selbst zerfällt in 5 Kategorien, von denen die drei unteren in Betracht kommen, welche als unterste Kelesell, als höhere Uuuell, als höchste lllesollumull benannt werden und in verschiedenen Entwickelungsstadien nach einander und in verschiedenen Zuständen auftreteu. Die unterste (lllelesell) beseelt das Kindesalter und den