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Der Chaßidismus : eine kulturgeschichtliche Studie / von Verus
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der berühmte R. Mose Alschech und andere geradsiunige Männer. Danil trat eine Richtung auf, die den Pilpul zur Interpretation benützte. Hier stellte sich bald eine Entartung ein durch schwindelhafte Chilukim, welche der 8ctiIoii u. A. geißelten. Andere wieder erdichteten auffallende Midraschtexte, die sie dann durch ein Spinn­gewebe von Schwindel Hypothesen auflösten. Andere begingen litterarischen Diebstahl. Der Grundsatz aber ist, daß jede Interpretation, die auf wahren Prämissen beruht, als Anlehnung an den Sinn des Verses (^smaokta) und mögliche Andeutung erlaubt ist, wenn man nicht darauf losgeht, den wahren Sinn zu verdrehen. Auch habe ich gehört, daß die polnischen Prediger gewohnt waren, wunderliche Zu­sammenstellungen aus Tossefot und den Decisoren in die Schriftsätze einzuschieben. Heutzutage aber wendet sich dort ein Theil dem einfachen Schriftsinne zu, um allwöchentlich den Or kaokajim von dem berühmten heiligen Choßid R. Chaim bcn Atar zu lesen, der sehr beliebt geworden, weil er den einfachen Wortsinn vorzieht."

In kurzen Worten hat so Azulai den Kampf geschildert, den der Chaßidismus denn nur dieser hat den Or kaekajim überhaupt gekannt gegen das unheil­volle Heer des Magidim und Wanderprediger geführt hat. Man ist natürlich an Ort und Stelle im Kampfe gegen eingewurzelte Uebel viel energischer und drastischer vorgegangen, als der vornehme, phlegmatische, sephardische Adlige. Derselbe macht übrigens einem in sephardischen Kreisen eingerissenen Unfuge Konzessionen, den der Chaßidismus mit der Wurzel ausgerottet hat. Denn während die polnischen, namentlich litthauischen Wanderprediger nur den Wortsinn verdrehten und, wenn Noomi und Ruth einen Dialog hielten, denselben in eine juristische Disputation zwischen Rabkuu Tam und Ri verwandelten, haben die sogenanntenFrenken" eine Sprachentartung und Gedankenvcrwirrung eingeführt, die geradezu schauderhaft genannt werden muß. So lesen wir in einer Einleitung: Or lora, Risek I^akara Oberhaupt des Lichtes," verdreht ausStromaufseher", Oraitin Resekerak, Anspielung auf eine Frage, weil sich ein Babylonier nicht mit einem Palästinenser verschwägern wollte, und er nannte ihren NamenHerrin" fürBitterquelle", Uara vaekaWwaHerrin und Starke" anstattSchaufel und Hacke" sOiia^inaj, Uar ledouaHerr des Weihrauchs" anstattMyrrhe und Weihrauch", Lekacks Mareker wirft sein Licht" anstatt des talmudischensie sdie Schlanzes spritzt ihr Gift", und so geht es in spaltenlangen Verdrehungen talmudischer und Midrasch- Stellen ins Unendliche, so daß man nicht weiß, ob man über die Zeitvergeudung oder die Wortverdrehung oder über den unendlichen Leichtsinn dieser Gelehrten den Stab brechen soll. Eines der komischsten Kuriosa ist die Antwort, welche R. Jaeob Emden auf seine Einladung zur Unterstützung seiner Kriegsfurie von dem berühmten italienischen Gaon -laä Naleacdi durch dessen Sekretär erhielt.

Daß der Chassidismus dieses traurige Symptom geistigen Verfalles auf dem Gebiete der Lomdim und Darschanim mit eisernem Besen ausgerottet hat, der Entartung den Ernst, der Zeit und Wortvergeudung die Heiligung der Rede, der wüsten Phantasterei die Schlichtheit des Gedankens, der Verstümmelung der Begriffe die Tiefe der Ideen entgegengesetzt hat, ist eines seiner größten Verdienste.

Die Entartung hat, wie Azulai mit scharfem Blicke erkennt, mit der Scholastik in arabisch-spanischen Kreisen ihren Einzug gehalten uud durch Jahrhunderte fort­gewirkt. Der Aufschwung der arabischen Kultur war längst versiegt, seichte Ge­schwätzigkeit hatte ihre Stelle eingenommen, und der assimilatorische Verkehr mit den grauenhaften arischen Gelehrten des Mittelalters war geeignet, dem einzigen Volke, das diesen, traurigen Tiefstände menschlichen Geistes entgangen war, den man mit dem NamenMittelalter" bezeichnet. Pie Frische und Energie seines Geistes zu rauben.