— 226 —
Unmöglichkeit, aus der Zusammensetzung unvollkommener Theile ein vollkommenes Ganze zu bilden, sei ein Trugschluß der Logik, wofür er mit feiner Homilektik den Beweis aus dem praktischen Leben nimmt. Denn der Werth der Gemeinde (1122), von welchem unsere Weisen sagen: „Du mußt immer den Respekt vor der Gemeinde vor Augen haben, denn selbst Mose wurde gestraft, weil er sie mit 2^1121 anredete, dieser Werth besteht in der Vollkommenheit der Gesammtheit, trotzdem dieselbe aus einzelnen unvollkommenen Individuen zusammengesetzt ist. So sagt der Talmud, daß unser Gebet werthlos sei, wenn an demselben die Sünder nicht thcilnehmen.
Obwohl der Run die Kabbala nicht kannte und ebenso, wie sein berühmter Schüler R. Isaak bar Scheschet in Resp. 151 ausführt, die Kabbalisten seiner Zeit als Träger einer von ihnen selbst nur ganz unvollkommen begriffenen Lehre behandelt, trotzdem er unter ihnen sehr ehrenwerthe Freunde gefunden habe (R. Josef von Saragossa), was auch vollständig mit dem Urtheil seines späteren Namensgenossen ^ri übereinstimmt, so finden wir in den obigen Sätzen in nnos schon die Grundlehren der von R. Mose Chaim Luzzato so wunderbar definirten Entwickelungstheorie, als deren getreuer Schatten dann die Moderne folgt.
Die scheinbare Einfachheit und Schmucklosigkeit der Sentenzen des Run darf uns ihre außerordentliche Tragweite nicht übersehen lassen. Er zerstört mit festem Griffe den aristotelischen Wahn, von dem sich Spinoza noch nicht freimacheu konnte, die Welt aus der Studirstube als Dogma des menschlichen Verstandes in geometrischem Aufputz zu konstruiren.
Im ersten Schöpfungskapitel, wie Talmud und dessen in der Kabbala lebendige Schöpfungslehre lehren, sind Raum und Zeit noch identische Begriffe. Der Zeitbegriff entwickelt sich erst aus dem transcendentalen 2^121 112, und erst im zweiten Schöpfungskapitel, das erst, wie der Run sagt, dem Menschen einen separaten Schöpfungstag einräumt, erst von diesem Tage an, mit welchem die eigentliche Zeitrechnung beginnt, heißt es: 8"N NIL?!? 21^2, indem das Tetragramm in Erscheinung tritt, das die Erhabenheit des Unbegreiflichen über die Zeitbegriffe, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verkündet. —
Osru8eiia.Ii 2. lieber den Einfluß des menschlichen Willens auf den Schöpferwillen durch Gebet, Segen und Prophetenwort — eingehüllt in das Thema von Isaak und Rebekka, Jakob und Esau.
Ohne sich von dem kuror postieu8 der philosophischen Ekstase packen zu lassen, durchquert der scharfsinnige Talmuderklürer auf leichtem Schifflein die Untiefen der Probleme von Gesetzmäßigkeit und Freiheit, Prädestination und Determination, kl!""!' und ,11>N2, indem er die Frage auswirft, daß doch die Thora ausführlich die Vorbestimmung anführt, nach welcher Rebekka als Gattin Jsaak's ausersehen war, den Baum Jsrael's und gleichzeitig den seines Gegensatzes zum Wachsthum zu bringen, und diese, trotz alledem von Natur unfruchtbar, erst durch wunderbare Er- hörung des Gebetes der ihr vorbestimmten Aufgabe gerecht werden konnte. Der schlichten Einfachheit der Antwort, die der Talmud auf diese Frage gicbt: N"2srNIL? 2'>,1''12 ^ mrmv „weil der Höchste das Gebet der Frommen hören
will", giebt er einen Inhalt, der in die Tiefen des Welträthsels hinableuchten soll. Er streift dabei, ohne es zu nennen, und wahrscheinlich, ohne es gekannt zu haben, das Gebiet der Ideen des platonischen Systems, in wie weit dieselben ein Jahrtausend vor Plato in der Thora und in deren Fortsetzung in Psalmen und Prophetentradition anzutreffen sind. Den Kern seiner Ausführungen in Beantwortung dieser Fragen hat der Nudrul in die bereits zitirte Formel zusammengefaßt: 112 L" 2'21^- Der Run begründet dies folgendermaßen: Die Starrheit und Unver- ünderlichkeit der Naturgesetze ist eine nur scheinbare. Dieselben sind vielmehr Aus-