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Der Mensch trägt zwei Gegensätze in sich: den freien Willen und die vererbten Anlagen. Die Eltern vererben sowohl ihre physischen und moralischen Vorzüge, wie ihre physischen und moralischen Gebrechen auf ihre Nachkommen, wodurch zwar die Willensfreiheit des Individuums weder erzeugt noch aufgehoben, jedoch in hohem Grade entweder günstig oder nachtheilig beeinflußt wird. Da die Kanaaniter (die eigentlich im Lande fremd wareu) mit unheilbaren moralischen Defekten behaftet waren, zog Isaak es vor, Jakob die Begründerin seiner Nachkommenschaft im Hause des Götzendieners Laban suchen zu lassen, weil diese Art Defekte zu denjenigen gehören, die nicht weiter vererbt werden. Es giebt nämlich Gebote und Verbote der Thora, deren Uebertretung in Seele und Körper zugleich Defekte hinterläßt, nur eine zweite Klasse, welche in der Seele allein ein Defekt zurücklassen. Diese Letzteren, so schädlich sie sein mögen, sind durch Vererbung nicht übertragbar, denn zwischen den Seelen von Vater und Kind besteht keine derartige verwandtschaftliche Affinität, wie zwischen den Körpern. Die der ersten Kategorie gehen jedoch unbedingt durch Vererbung auf die Nachkommenschaft über. Dazu gehören die Laster des Hasses, des Neides, der Grausamkeit, des Geizes und ähnliche. Daß dieselben in der Seele schlechte Anlagen verrathen, braucht nicht erst bewiesen zu werden; sie sind aber auch nicht vom Körper zu trennen, denn Eigenschaften der Gemüther und die sogenannten Humores des Körpers stehen in
untheilbarer Wechselwirkung. Wer heißes Blut hat, gerüth jäh in Zorn, und wer sich daran gewöhnt, sich vom Zorn Hinreißen zu lassen, der bekommt heißes Blut. Der Talmud geht sogar auf diesem Felde in noch genauere Details ein, als der lirm, indem er behauptet, daß der Vater dem Kinde den Bau des Nervensystems die Mutter den des Blutgefäßsystems liefert, die Bekleidungen der von den Eltern unabhängigen Seele, (^ri). Daraus folgt, daß Nervenkrankheiten der Mutter ebensowenig erblich sind, als Herzkrankheiten des Vaters. Da nun die psychophysischen Defekte der Kanaaniter der Art waren, daß ihre unausbleibliche Vererbung dem freien Willen fast unübersteigliche Hindernisse in den Weg zu legen geeignet war, so zog Isaak als kleineres Uebel den götzendienerischen Laban vor, dessen Wahnvorstellungen wenigstens keine horeditäre Belastungsgefahr bildeten. Diese Unterscheidung zwischen rein psychischen und psychophysischen Anlagen steht eben so einzig da, wie seine darauffolgende Definition des Herzens, als der von den Modernen mit einer Art mystischer Konzeption hingeworfenen, psychophysischen Schwelle, zu deren Verständniß, ohne es zu wollen oder zu ahnen, der Run hier eines der Passendsten Substrate liefert.
Als gefährlichstes Hinderniß für die freie Willensthätigkeit stellt er diejenigen Anlagen hin, welche gleichzeitig den Geist und die Emotionen des Gefühles durch das Herz umklammern, welches den Anfang, die Wurzel und die Quelle der meisten Qualitäten des menschlichen Charakters in sich schließt. Das will Salomo (Spr. 4, 23) mit dem Gleichnisse verstanden wissen. „Vor jeder Fessel behüte Dein Herz, denn von ihm geht das Leben aus." Dieser Spruch ist das vollkommenste Gleichniß, sagt der kan, weil es Räthsel und Lösung ein und demselben Objekte entnimmt und den Apparat des Gleichnisses überhaupt zum Vorwurf eines solchen wählt.
Das Wesen des Gleichnisses besteht nämlich in der Vereinigung der zwei Gegensätze im menschlichen Erkennungsvermögen, des psychischen und physischen. Der Geist sieht intuitiv ^212) die abstrakten Begriffe, ohne einer
materiellen Unterlage für dieselben zu bedürfen. Dem widersetzt sich die physische Anschauung, die nur Sinneseindrücke anerkennt. Um die niedere Anschauung zur höheren emporzuheben, schlägt die Seele den Weg der Lehrer gegenüber dem Schüler ein, der die Auffassungskraft des letzteren durch ein rohes, leicht faßliches