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Der Chaßidismus : eine kulturgeschichtliche Studie / von Verus
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Grabstein hat die Inschrift ^"2? Ns?12 d. i. 199 ^ 1439, also im zweiten und letzten Regierungsjahre des Kaisers Albrecht 14 von Oesterreich, Königs von Böhmen.)

Dieser Rabbi stand wegen seiner Gelehrsamkeit und seines asketischen Lebenswandels bei seinen Zeitgenossen und lange nachher in dem Rufe der Heiligkeit; sein Grab war und ist (1882 geschrieben) ein Wallfahrtsort, zu welchem sowohl Einzelne als ganze Genieinden bei unglücklichen Ereignissen pilgern. Er war wahrscheinlich eine durch nichts begründete Hypothese Augenzeuge jener blutigen Massacres vom Jahre 1389 am letzten Tage des Peßachfestes, wo die Gemeinde, muthvoll dem Beispiele ihres greisen Lehrers folgend, mit eigener Hand ihre Lieblinge tödtete, um sie nicht in die Hand der entmenschten Kannibalen fallen zu lassen, und sich dann selbst in der Synagoge dem Flammentode weihte. Die Zahl der Gefallenen wird auf 3000 angegeben. (Podiebrad S. 123.) Die Haupt­momente hat R. Avigdor Kroo in einer Elegie, die dem Rituale des Versöhnungs­tages einverleibt wurde, verewigt. 6u1 ITI (S. 2) führt aus Luzzato's Mit­theilungen die Nachricht an, daß dieser Rabbi am Hofe Wenzel's IV. sehr in Gunst gestanden habe. Sein Urenkel, R. Abraham ben R. Avigdor, als Prager Ober­rabbiner berühmt, starb 1543. Die Familie wanderte nach Polen aus. Auch der berühmte Meharscho, R. Samuel Edels, st. 1633, war ein Nachkomme unseres R. Avigdor. Er war einer jener großen Männer, wie sie die Vorsehung als Hüter in besonders gefahrvollen Epochen erstehen läßt. Die Geschichte seiner Zeit zeigt uns eine außerordentliche Gährung und Auflösung der europäischen Verhältnisse, der bürgerlichen wie der kirchlichen. Das Schisma der Päpste, der bevorstehende Untergang des österreichischen Reiches, ließen Byzanz wie Rom in einem Prozeß der Fäulniß erscheinen. Das Baseler Konzil (14311449), die letzte der allgemeinen Kirchenversammlungen, sucht vergeblich durch eine Reform an Haupt und Gliedern, Vereinigung aller Schismatiker, Ueberordnung über die päpstliche Herrschaft, Vor­ladung des Papstes Eugen IV., dessen Nichterscheinen, die Drohung mit Absetzung folgt als Antwort aus sein Auflösungsdekret, Verbote gegen das Konkubinat der Geistlichen und ihren Mißbrauch des Interdikts, Ausrottung aller Ketzer und Verfolgung der Juden, das verlorene Ansehen beim Volke wieder zu gewinnen. Sechzehn Jahre lang (14191434) wüthen die Hussitenkriege, in denen der Kardinal­egat Cesarius, der Leiter des Konzils, 1431 bei Taus aufs Haupt geschlagen wird. In die Finsternisse dieser schaurigen Nacht fällt ein schwacher Lichtstrahl aus dem Leuchtthurm des Judenthums auf den von tosender Brandung umschäumten Felsen. Die Stellung der Juden, als Vermittler des Handels, des Geldwesens, des internationalen Verkehrs, in der Diplomatie, an den zahllosen Höfen als Aerzte und Hofjuden unentbehrlich, läßt sie als Ferment in diesem Gärungsprozesse erscheinen. Der merkwürdige Einfluß, den R. Avigdor Kroo auf den König von Böhmen und gekrönten deutschen König Wenzel auszuüben im Stande ist, äußert sich in seiner Gunst für die Juden und in seiner Strenge gegen Hochadel und Klerus, dessen Geschichtsschreiber schon wegen seiner Förderung der Hussiten ihm alle möglichen Schlechtigkeiten nachsagen. Seine wiederholte Gefangensetzung durch seinen Bruder Sigismund von Ungarn (Ueberfall 1394 und Geheimhaft in Prag, fünfzehnmonatliche Haft in Wien 1402), die Befreiung durch seinen Bruder Johann von Görlitz und die deutschen Fürsten (1394), Absetzungsbeschluß durch die 4 rheinischen Kurfürsten (1400), seine Flucht nach Böhmen (1403) unter den Schutz der Hussiten bis zu seinem Tode (1419) sind bezeichnend für die Stürme, denen selbst der Kaiserthron ausgesetzt war. In einer Zeit, wo durch das Herrschastsstreben der römischen Hierarchie die Religionswissenschaft das Denken beherrschte, war der Einfluß der jüdischen Gelehrten als anerkannter Hüter der