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Der Chaßidismus : eine kulturgeschichtliche Studie / von Verus
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Er war nicht der Einzige unter diesen Männern, welche als eine Bedingung von idealem Thorastudium es sür nothwcndig fanden, ihr Wissen

unter der Hülle vollständiger Unwissenheit zu verbergen, da die unermüdliche Selbstgefälligkeit des Gelehrten vom Standpunkte der höheren Ethi des Talmud und der Kabbala als Wurzel schwerer Uebel hingestellt wird. Und der Talmud giebt hierfür als Beispiel das Verhalten Jonathans ben Amram, der sich während der Hungersnoth vor seinem Lehrer R. Jehuda Hanassii nicht als Gelehrter zu erkennen geben wollte, nach dem Grundsätze: Wer von der Ehrung als Gelehrter Nutzen zieht, zehrt an seinem eigenen Lebensmarke.

Ebenso streng geht R. Avigdor mit den Schächtern ins Gericht, die ihr Amt ohne genügende Sorgfalt und ernste Beobachtung der religiösen Vorschriften ausübcn, von welchen das rituelle Leben der Gemeinde abhängt. Ebenso dürfe man weder' einem Unwissenden noch einer Frau das Schächten anvertrauen, sondern nur

einem religiös gebildeten, ernsten Manne, der seinen Segensspruch mit Ernst und

Andacht spricht. Und so dürfe man von der Schechitah eines Betrunkenen ebenso wenig genießen, wie von der eines Götzendieners, denn der Betrunkene macht aus sich selbst ein unzurechnungsfähiges Götzenbild, auf dem alle mögliche Unreinheit haftet. Groß ist die Verantwortlichkeit derer, welche die Beobachtung der rituellen Speise­gesetze in Händen haben; denn durch verbotene Speisen wird das Kleid der Seele, der Körper, verunreinigt und die Seele in ihrer angeborenen Heiligkeit geschädigt. Wehe dem Pöbel, den gedankenlosen Fressern, die nur bedacht sind ihren Magen zu füllen, ohne Acht zu geben, ob man ihnen Aas oder Trese und Neßechwein

vorsetzt! Ihnen ist die lange Dauer des qualvollen Exils zu verdanken und der

Mangel des Segens. Deshalb nennen unsere Weisen den unzuverlässigen Schächter einen Verbündeten Amalek's, und daher stammen viel böse feindselige Beschlüsse der Regierungen, und wenn unsere Weisen zuweilen das von Laien und Oesetzesübertretern Geschachtete zum Genüsse zugclassen haben, so geschah dies nur gelegentlich, weil man sich gegen dieselben nicht Helsen konnte (S. 266). Und wisse, mein Sohn, daß Du Dich von allem Zweifelhaften fern halten sollst; denn nur unsere Weisen konnten das feststellen, aber nicht wir, und selbst der Talmud hat zuweilen bei zweifel­hafter: Entscheidungen Erleichterungen zugelassen, um im Exil nicht Veranlassung zu geben, daß nichts gehalten wird, aber in Palästina hat inan sich an die äußerste Strenge gehalten und nicht das Geringste um Haaresbreite nachgegcben (S. 272). Daher, meine Söhne, soll Jeder, der der Gemeinschaft Israels angehört und sich als Nachkommen Israels betrachtet, seine Zunge hüten und soll nicht glauben, daß die Vorschriften der Weisen (über die Fleischbeschau und die Perlsucht u. s. w.) will­kürliche Vorschriften zum Schutz des Gesetzes sind, weil die Thora sich in keine ausführlichen Erklärungen des Verbotes von Trefa einläßt. Man soll daher nicht sagen: Ich werde mich nicht darum kümmern; denn ich schwöre, daß Alles vom Sinai überliefert ist und auf irgend welche Art in der Thora leise angedeutet erscheint. Und cs giebt für die Uebertreter strenge Strafen, von denen man gar keine Ahnung hat; deshalb sollt ihr darauf achten, Gemeinden, die diese Gebote gering schätzen, zur Beobachtung des Gesetzes zurückzuführen durch wohlwollende Be­lehrung (S. 283).

So war es in Deutschland zur Zeit des tiefsten Mittelalters im 14. Jahr­hundert. Zwei Jahrhunderte später macht der hohe Rabbi Löw (Mahral) den Pragern den Vorwurf, das; keirr Jude ans dein Osten bei ihnen Wein trinken wird, weil sie die rabbinischeu Vorschriften in den Wind schlagen, obwohl damals von dein sogenannten Zeitgeist des achtzehnten Jahrhunderts noch nicht das leiseste Säuseln zu verspüren war. Nicht die Herrschaft des Geistes ist es, die sich gegen die Gesetze auflehnt, sondern die des Magens und seiner Verbündeten. Beschämend gering, daß